Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Absatz herum, wie um augenblicklich loszustürmen und – seine Ankündigung (vermutlich unter Zuhilfenahme seiner Fäuste) augenblicklich in die Tat umzusetzen. Doch Andrej hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück.
»Warte!«, sagte er.
Abu Dun riss sich brüsk los, blieb aber gehorsam stehen und sah nur stumm auf ihn hinab.
»Verrätst du mir, was du jetzt vorhast?«, fragte Andrej.
Abu Dun schwenkte den schwarzen Fetzen. »Den guten Doktor fragen, wo der Rest davon ist.«
»Ja, und ich kann mir auch ungefähr vorstellen, wie die Befragung aussehen wird«, antwortete Andrej kopfschüttelnd. »Komm mit, aber überlass das Reden mir, hast du das verstanden?«
»Bitte vergebt Eurem unwürdigen Diener, Sahib«, sagte Abu Dun eisig. »Aber vielleicht ist es doch besser, wenn Ihr nicht nur das Reden übernehmt, sondern auch alles andere. Nicht, dass ich am Ende noch etwas Dummes tue.« Und damit machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte davon.
Kapitel 13
Die Tage waren nun kurz, und der Himmel hatte schon einen größeren Anteil an Grau als an irgendeiner anderen Farbe. Auf dem Wasser wehte ein eisiger Wind, und selbst Andrej konnte die schweren Ruder mittlerweile nur mit großer Anstrengung bewegen. Sein Atem bildete Dampf vor seinem Gesicht, und spätestens wenn die Sonne ganz untergegangen war, würde die feuchte Kälte ihnen in die Kleider kriechen, sodass er sich Sorgen um Corinnas Gesundheit zu machen begann, deren dünner Mantel ihr allenfalls Schutz vor neugierigen Blicken bot. Er hätte auf sich selbst hören und sie nicht mitnehmen sollen, dachte er. Oder noch besser: auf Abu Dun. Dann wäre er jetzt gar nicht erst in dieser verfluchten Stadt.
Während er mit Abu Dun geredet hatte, hatte sich der Dottore einfach mit seinem verbliebenen Helfer und dem Leichnam aus dem Staub gemacht. Misstrauisch geworden hatte Andrej die Verfolgung aufgenommen und sich mächtig in die Riemen legen müssen, um Scalsi nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Das war ihm auch bis eben noch gelungen, doch nun hatten sie den Dottore an der Küste der kleinen Insel verloren, die dieser vermutlich anlief. Die Friedhofsinsel.
»Dort drüben.« Corinna hob die Hand unter dem Mantel hervor und deutete auf ein lang gestrecktes Gebäude am Ufer, vielleicht noch zwei- oder dreihundert Meter entfernt, dessen Umrisse von der hereinbrechenden Dämmerung bereits aufgelöst wurden. Man konnte dennoch erkennen, wie beeindruckend und groß es war. Nach Andrejs Dafürhalten schien es nicht wirklich in diesen Teil der Welt zu passen, sondern erinnerte ihn eher an einen alten griechischen Tempel oder eine der monumentalen Bauten, wie er sie aus Abu Duns Heimat kannte. Aber es war ein festes Gebäude auf festem Grund, und diese beiden Eigenschaften waren es, die ihn zurzeit am meisten interessierten.
Dennoch griff er noch beherzter in die Riemen, um das letzte Stück möglichst rasch zurückzulegen, und korrigierte den Kurs des kleinen Bootes. Ihm schien, als würde es mit jedem Augenblick kälter, und auch die Dünung hatte in den letzten Minuten spürbar zugenommen – was der Tatsache geschuldet war, dass die Flut eingesetzt hatte und die Friedhofsinsel im Gegensatz zu den meisten anderen tatsächlich eine Insel war und ein gutes Stück weit draußen in der Lagune lag – noch nicht wirklich im offenen Meer, aber dennoch zu weit draußen, als dass es ihm angeraten schien, sich mit einer solchen Nussschale von Boot dort hinzuwagen.
Außerdem war ihm gerade wieder eingefallen, wie sehr er Schiffe verabscheute.
Wieder irrte sein Blick nach Westen und damit zu der schmalen Landzunge, hinter der Scalsis Boot verschwunden war. Er versuchte sich einzureden, dass Scalsi und sein schlichter Begleiter ihn unmöglich gesehen haben konnten. Das Boot, mit dem der Dottore aufgebrochen war, war schon seit einer ganzen Weile nicht mehr zu sehen, und er hatte auch vorher einen Abstand eingehalten, in dem selbst seine scharfen Augen das Boot nur noch als winzigen dunklen Punkt ausmachten, der auf den schmutzigen trüben Wellen hüpfte. Dennoch blieb er nervös. Wenn Scalsi bemerkte, dass er verfolgt wurde, konnte er genauso gut kehrtmachen und in ihre Nobelherberge zurückgehen, um sich Abu Duns schadenfrohe Kommentare anzuhören.
Er sprang auf den schmalen Kiesstrand hinab, noch bevor das Boot knirschend darauf zum Stillstand gekommen war. Mit kraftvollen Bewegungen zog er es noch ein weiteres Stück auf den Strand hinauf (das fehlte ihm noch, dass
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