Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
hier. Und nicht mit ihr über ihn. Vergeblich zerbrach er sich den Kopf darüber, was er nun sagen sollte, blickte dann wieder auf ihre Hände hinab und runzelte die Stirn. »Was hast du da?«
Corinna hob eine Hand und sah sie mit einem Ausdruck an, als stelle sie sich dieselbe Frage, zuckte dann mit den Achseln und hielt sie ihm entgegen. »Das habe ich in der Zelle gefunden«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was es ist.«
Sie hob abermals die Schultern und machte Anstalten, ihr Fundstück einfach wegzuwerfen, doch Andrej griff rasch nach ihrem Handgelenk und hielt es fest. Auf Corinnas ausgestreckter Handfläche lag ein schwarzer Stofffetzen, nicht einmal halb so groß wie ein Taschentuch und offensichtlich grob aus einem größeren Stück herausgerissen. Andrej nahm ihn mit spitzen Fingern, betrachtete ihn von allen Seiten und rieb das Tuch schließlich prüfend zwischen Daumen und Zeigefinger. Es fühlte sich genau so an, wie er erwartet hatte, und ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken.
»Was hast du?«, fragte Corinna.
»Das ist … nichts.« Doch er hörte selbst, wie wenig überzeugend er klang. Corinna sah ihn misstrauisch an und streckte dann die Hand aus, als wolle sie ihm das Tuch wieder wegnehmen, aber das ließ er nicht zu. »Es sieht aus wie der Mantel, den dein Freund trägt«, stellte sie fest.
Es sah nicht nur so aus. Es war der gleiche Stoff, vielleicht nicht auf demselben Webstuhl gefertigt, wohl aber im gleichen Teil der Welt, und Andrej war sich darüber im Klaren, wie lächerlich es gewesen wäre, diese Tatsache zu leugnen. Er versuchte es trotzdem. »Sicherlich nichts als ein Zufall.«
»Ich habe es in der Zelle gefunden«, sagte Corinna nachdenklich. Ganz allmählich erlosch der Ausdruck von Schrecken auf ihrem Gesicht und machte Wachsamkeit Platz, die Andrej so sehr traf, als gelte sie ihm. Und vielleicht tat sie das ja tatsächlich. »Es lag auf dem Boden. Im Stroh.«
»Das hat nichts zu bedeuten«, sagte Andrej, vielleicht eine Spur grober, als er beabsichtigt hatte, und ganz gewiss nicht auf eine Art, die Corinnas Argwohn zerstreuen würde. Rasch steckte er den Fetzen ein und war froh, in diesem Moment das Geräusch der Tür hinter sich zu hören.
Schwester Innozenz trat ins Freie, mit erstaunlichem Erfolg bemüht, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen. Corinna dagegen bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick, ging wortlos an ihnen beiden vorüber und steuerte die kurze Treppe auf der anderen Seite des Hofes an. Ihr folgte der Dottore, der sich genau andersherum verhielt, als hätten sie es vorher abgesprochen: Er ignorierte Corinna, warf Andrej einen Blick zu, der ihm Anlass zur Sorge gegeben hätte, wäre Scalsi einen Meter größer und bewaffnet gewesen. Auch er sagte nichts, ging aber nicht hinter der Barmherzigen Schwester her, sondern zog die Tür noch weiter auf, da ihm der große Bursche folgte, der den Leichnam seines Kameraden auf den Armen trug. Er wankte sichtlich unter seinem Gewicht, was Andrej endgültig bewies, dass er zwar ob seiner Größe beeindruckend kräftig wirkte, es aber nicht war. Rasch trat er hinzu und nahm ihm den Toten ab.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Scalsi scharf.
»Das Mindeste, was ich tun kann«, antwortete Andrej. »Ich helfe euch.« Er wandte sich an Claudio. »Wohin?«
Der Mann streifte Doktor Scalsi mit einem scheuen, fragenden Blick und reagierte erst, als dieser nach einem Moment des Zögerns nickte. Wortlos und in weit größerem Abstand, als notwendig gewesen wäre, ging er an Andrej vorbei, um das Tor einer niedrigen Remise zu öffnen, die ein Gutteil der linken Hofseite einnahm. Andrej folgte ihm ebenso schweigend und steuerte den niedrigen Leiterwagen an, der hinter dem Tor zum Vorschein kam. Er lud den Leichnam auf dem Wagen ab und verbarg ihn unter einer der schmutzigen Decken, die darauf lagen. Dann wartete er, bis der Mann die Tür wieder geschlossen und sich so schnell entfernt hatte, dass es einer Flucht gleichkam.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte er, wieder an Scalsi gewandt. »Und meinem Freund auch. Ich bin sicher, dass er das nicht beabsichtigt hatte.« Aber stimmte das auch?
»Niemand wird etwas davon erfahren«, antwortete Scalsi kühl. Er war direkt neben Corinna stehen geblieben und brachte das Kunststück fertig, Andrej an- und gleichzeitig durch ihn hindurchzusehen. »Macht Euch keine Sorgen.«
»Das tue ich nicht«, erwiderte Andrej und schluckte mit Mühe die Erwiderung hinunter, die ihm noch auf der
Weitere Kostenlose Bücher