Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
verboten!«, heulte der Mann und machte Anstalten, sich mit erhobenen Fäusten auf ihn zu stürzen.
Andrej empfing ihn mit einem Hieb in den Leib, der ihm den Atem nahm und ihn endgültig in die Knie brechen ließ, ohne ihn zu verletzen, und begriff einen Sekundenbruchteil zu spät, dass er den zweiten Mann vergessen hatte.
Hinter ihm splitterte Holz, als dieser seinen Besenstiel über dem Knie entzweibrach und mit dem zerborstenen Ende wie mit einer heimtückischen Waffe auf ihn losging. Andrej wich dem Angriff mit einem raschen Schritt zur Seite aus, und der Bursche stürzte an ihm vorbei und zielte nun – vielleicht sogar unabsichtlich – auf Abu Duns Gesicht. Der Nubier wich dem ersten Stoß sogar noch aus, doch als der Mann mit einem schrillen Jaulen herumfuhr und seinen Besenstiel nun wie eine Keule schwang, um ihm den Schädel zu zertrümmern, empfing er ihn mit einem Schlag seines Handballens, der so schnell war, dass ihn außer Andrej vermutlich nicht einmal jemand sah.
Zu hören war er dafür umso deutlicher. Ein dumpfes Knacken ertönte, als würde ein uralter Balken zerbrechen. Der Besenstiel klapperte zu Boden, gefolgt von seinem Besitzer, der auf die Seite rollte und Blut erbrach, bevor er qualvoll, aber sehr schnell erstickte. Er war bereits tot, als Scalsi und fast im gleichen Moment auch Schwester Innozenz ihren Schrecken überwanden und neben ihm auf die Knie fielen. Corinna hatte die Hand vor den Mund geschlagen und stand da wie erstarrt.
»Er … er ist tot!«, stammelte Scalsi. Sein Kopf flog in den Nacken, und er starrte Abu Dun aus weit aufgerissenen Augen an. »Du … du hast ihn umgebracht!«
»Habe ich das?« Abu Dun zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Mir kam es so vor, als hätte er versucht, mich umzubringen und ich hätte mich nur verteidigt.«
»Du hast ihn umgebracht!«, beharrte Scalsi. »Einfach so, mit einem einzigen Schlag!«
»Ich hätte auch zweimal zuschlagen können«, erwiderte Abu Dun. »Hätte das etwas geändert?«
Der große Bursche begann plötzlich mit einer schrillen Kinderstimme zu weinen, und Abu Dun drehte mit einem Ruck den Kopf und sah ihn an. Tatsächlich aber, dachte Andrej schaudernd, sah er seine Hand an und das rote Blut darauf. Seine Nüstern blähten sich wie die eines Bluthundes, der Witterung aufnimmt.
»Warte oben auf uns, Abu Dun«, sagte er rasch.
Abu Dun sah weiter die blutbesudelte Hand an, und dann war da plötzlich noch etwas, etwas, das nicht von ihm kam. Etwas, das mit jedem Atemzug stärker wurde. Gewalt lag in der Luft. Mord und eine schlechte, abgrundtief schwarze Erwartung.
»Abu Dun!« Jetzt schrie Andrej fast. »Geh! Ich regle das hier!«
Der Nubier starrte den Mann noch einen endlosen, schweren Herzschlag lang an, aber dann hob er mit einem Ruck den Kopf und verzog die Lippen zu der bösen Karikatur eines Lächelns. »Ganz wie Ihr wünscht, Sahib«, sagte er, drehte sich auf dem Absatz herum und stapfte hinaus.
Andrej wartete, bis er am oberen Ende der Treppe verschwunden war und die Tür zuschlug, bevor er sich wieder zu Scalsi und der Barmherzigen Schwester umdrehte. »Das tut mir leid, Doktor«, sagte er. »Das hätte nicht passieren dürfen. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, was Ihr meintet, als Ihr sagtet, es habe ein Unglück gegeben.«
»Seid Ihr ein so herzloses Ungeheuer, oder tut Ihr nur so?«, fragte Schwester Innozenz. »Dieser Mann ist tot! Euer Heidenfreund hat ihn umgebracht!«
»Er hat sich nur verteidigt«, antwortete Andrej. Selbst wenn er sich auch anders hätte wehren können. Aber seltsam: Irgendetwas sagte ihm, dass es nicht Abu Duns Schuld war. Nicht allein.
»Dieser Mann hat niemandem etwas getan!«, begehrte Innozenz auf. »Wir –«
Scalsi legte ihr die Hand auf die Schulter und brachte sie damit zum Schweigen. »Es ist gut, Schwester«, sagte er. »Signore Delãny hat recht. Der Muselmane hat sich nur verteidigt.«
»Sein Name ist Abu Dun«, sagte Andrej.
»Abu Dun, ja«, bestätigte Scalsi. »Es war nur ein Unglücksfall. Schlimm, aber so etwas passiert, gerade an einem Ort wie diesem.« Alles Gefühl war aus seinem Gesicht verschwunden. Als er sich an den großen Mann wandte, klang seine Stimme, als spiele er eine Harfe aus kaltem Glas. »Bring ihn nach oben, Claudio. Wir schaffen ihn später zur Insel.«
»Ist … alles gut, Dottore?«, fragte Claudio.
»Alles ist gut«, bestätigte Scalsi. »Es ist nicht deine Schuld. Du hast alles richtig gemacht. Bringt ihn nach oben und bereitet
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