Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
dunklen Schemen zu erkennen, der lautlos hinter dem Fremden her eilte, lief um das Grab herum und folgte den beiden Schatten mit schnellen Schritten.
»Wenn Ihr jetzt nicht stehen bleibt, dann –«
Diesmal war er darauf vorbereitet, dass Abu Dun wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte, um ihm den Weg zu vertreten. Umso erstaunter war er, dass er, als er blitzschnell zur Seite sprang, sich auch dort Abu Dun gegenübersah, der lautlos wie ein Gespenst aus der Dunkelheit auftauchte. Seine Überraschung war so groß, dass er nicht einmal versuchte, einem neuerlichen Stoß mit dem Handballen auszuweichen, mit dem der schwarze Riese ihn diesmal zwar nicht ganz niederwarf, der ihn aber immerhin auf ein Knie sinken ließ und ihm abermals den Atem nahm.
Mehr aus Überraschung als gelähmt von dem halbherzigen Schlag blieb er einige Sekunden lang auf den Knien hocken, schüttelte schließlich die Benommenheit ab und richtete sich weit langsamer wieder auf, als nötig gewesen wäre. Die beiden Gestalten, vor denen er stand, waren natürlich nicht Abu Dun in doppelter Ausführung, hätten aber auf den ersten Blick durchaus als seine Doppelgänger durchgehen können, abgesehen davon vielleicht, dass sie nicht ganz so groß waren wie er und nicht annähernd so massig. Dennoch waren beide hochgewachsen und trugen knöchellange schwarze Mäntel und gleichfarbene Turbane. Und auch ihre Gesichter – von denen allerdings nur ein schmaler Streifen über den Augen sichtbar war – waren von derselben nachtschwarzen Farbe wie das des Nubiers.
»Nefatili?«, fragte Andrej überrascht. »Kalili?«
Weder die zuerst Angesprochene noch ihre Schwester antworteten, doch das mussten sie auch nicht. Andrej hätte sie auch erkannt, wenn ihre Gesichter vollkommen verhüllt gewesen wären.
Ein Klappern ließ ihn aufsehen. Er sah, wie die Gestalt mit einer sonderbar anmutigen Bewegung weiter in die verblassende Dämmerung zurückwich.
»Warte!«, rief er. »Das ist ein Missverständnis! Ich will nur mit dir reden! Meruhe!«
Andrej machte einen Schritt in ihre Richtung, und sofort vertraten ihm die beiden nubischen Kriegerinnen in einer synchronen Bewegung den Weg, als wäre die eine tatsächlich nichts als das Spiegelbild der anderen.
»Was soll das?«, fragte Andrej. »Erkennt ihr mich etwa nicht?
Ich bin es!«
Weder Kalili noch Nefatili antworteten, doch als Andrej einen weiteren Schritt machte, zog die eine ihr Schwert und die andere schlug ihren Mantel zurück und legte die Hand auf den Griff des Krummsäbels, den sie darunter am Gürtel trug.
Es war Andrej unmöglich zu sagen, wer wer war. Die beiden Kriegerinnen ähnelten sich wie eineiige Zwillinge – und waren es vermutlich auch. Es war ihm noch nie gelungen, sie auseinanderzuhalten. Er war nicht einmal sicher, ob Meruhe es je gekonnt hatte.
»Was soll das?«, fragte er noch einmal. »Ich bin es, Andrej! Und ich will nur mit ihr reden, das ist alles.«
Als einzige Antwort zog auch die zweite Kriegerin ihr Schwert. Ganz instinktiv wollte Andrej seine eigene Waffe ziehen, doch er besann sich anders. Dadurch wäre die Situation nur eskaliert. Der Umstand, nur zwei Frauen – noch dazu Sterblichen – gegenüberzustehen, verleitete ihn keine Sekunde lang dazu, sie zu unterschätzen. Meruhe hatte die beiden Kriegerinnen nicht von ungefähr zu ihren Leibwächterinnen gemacht. Selbst für ihn stellten die Schwestern ernst zu nehmende Gegnerinnen dar. Aber er war nicht hier, um mit ihnen zu kämpfen.
»Also nur, falls ihr es vergessen haben solltet«, sagte er mit einem nervösen Lächeln, »wir stehen eigentlich auf derselben Seite.«
Er war nicht überrascht, dass er keine Antwort bekam. Damit hatte er gerechnet. Aber Meruhe war mittlerweile in der Dämmerung verschwunden, und auf dem hart gefrorenen Boden würden selbst seine scharfen Augen keine Spuren mehr finden. »Warum läuft sie weg?«, fragte er besänftigend. »Ich bin es, Andrej! Warum redet ihr nicht mit mir?«
Er machte einen Schritt, und die beiden Nubierinnen griffen ihn an – wieder vollkommen synchron.
Das Schwert der einen stieß nach seiner Kehle, während der Krummsäbel der anderen blitzartig nach unten auf sein Knie zielte. Doch Andrej trat noch schneller und gerade weit genug zurück, um beide Hiebe ins Leere gehen zu lassen, schlug das nach seiner Kehle züngelnde Schwert aus der Hand seiner Besitzerin und fegte die andere mit einem Fußtritt von den Beinen. Eine zweite geschickte Bewegung ließ auch ihre
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