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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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absonderlichen Kleid lag, das aus einem hauchdünnen Seidenstoff zu bestehen schien, der in einem Wind flatterte, den es gar nicht gab. Andrej ging noch näher und blieb schließlich am Rand des aufgebrochenen Armengrabs stehen. Durchdringender Verwesungsgestank schlug ihm entgegen und noch eine Spur von etwas anderem, Wildem. Etwas raschelte. Struppiges Fell rieb aneinander, mit einem Geräusch, als würde ein Draht über einen anderen gezogen, und er konnte die Blicke winziger tückischer Augen mit fast körperlicher Intensität spüren.
    Andrej versuchte angestrengt, das Gesicht unter dem breitkrempigen Hut zu erkennen. »Wer seid Ihr?«, fragte er. Als ob er das nicht längst wusste.
    Natürlich bekam er keine Antwort, doch die unheimliche Gestalt trat einen Schritt zurück.
    »Bleibt stehen«, sagte er drohend. »Ihr werdet mir ein paar Fragen beantworten.«
    »Signore Delãny, was tut Ihr hier?«, ereiferte sich Scalsi. Mit einem Mut, den Andrej sicherlich bewundert hätte, wäre er in der Verfassung gewesen, auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, vertrat er ihm den Weg und versuchte sogar, ihn an der Jacke zu ergreifen, doch Andrej schob ihn einfach zur Seite.
    »Meruhe?«, fragte er.
    Die Gestalt wich einen weiteren Schritt zurück. Andrej spürte eine Bewegung hinter sich und fuhr eher verärgert als wirklich erschrocken herum, darauf gefasst, Claudio zu erblicken, der sich wieder hochgerappelt hatte, um seinem unheimlichen Herrn beizustehen – oder sogar Corinna, der es irgendwie doch gelungen war, sich aus ihrem improvisierten Gefängnis zu befreien.
    Stattdessen sah er sich einer ganz in Schwarz gekleideten Gestalt gegenüber, die ihn mit ihrem kunstvoll gebundenen Turban ein gutes Stück überragte.
    »Abu …?«
    Die Gestalt rammte ihm den Handballen mit solcher Gewalt vor die Brust, dass er den Boden unter den Füßen verlor und rücklings in das offene Grab geschleudert wurde. Wuchtig genug, um ihm vermutlich auch noch ein paar Rippen zu brechen, landete er auf dem bewusstlosen Claudio, blieb eine Sekunde lang reglos liegen und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Als er endlich wieder Luft bekam, war in seinem Mund der Geschmack von Blut, und jeder einzelne Atemzug wurde von einem heftigen Stechen in seiner Brust begleitet. Etwas Kleines mit scharfen Krallen huschte über sein Gesicht und floh mit einem erschrockenen Quieken, als er sich benommen auf die Ellbogen hochstemmte. Alles drehte sich um ihn. Der Schlag war nicht hart genug gewesen, um ihm das Bewusstsein zu rauben, aber er hatte ihm mindestens zwei oder drei Rippen gebrochen, die jetzt bei jedem Atemzug tief in sein Fleisch bissen. Er brauchte ein paar Augenblicke, in denen sich sein Körper regenerierte und die zerbrochenen Knochen wieder zusammenwachsen konnten, bevor sie sich noch tiefer in seine Brust bohrten, wenn er sich aufrappelte.
    Andrej schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden, erreichte damit aber eher das Gegenteil. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und die riesige Gestalt verschwamm immer wieder vor seinen Augen. Trotz allem war er aber mehr verwirrt als zornig. Derbe Scherze war er von Abu Dun gewohnt, auch solche, die anderen nachhaltig die Gesundheit oder gar das Leben gekostet hätten, aber dieser Hieb war ernst gemeint gewesen. Andrej stemmte sich weiter hoch, spuckte Blut und biss die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
    »Verdammt, Pirat«, brachte er mühsam hervor, »bist du verrückt geworden?« Wie kam er überhaupt hierher?
    Der riesige Schatten über ihm legte den Kopf auf die Seite, sah noch einen Atemzug lang schweigend auf ihn herab und verschwand dann mit einem einzigen Schritt rückwärts in der Dämmerung.
    Umständlich stemmte Andrej sich weiter hoch, trat auf etwas Weiches, das auf eine widerwärtige Art unter seinem Gewicht nachgab, und machte einen so hastigen Schritt zur Seite, dass er auf dem unsicheren Untergrund prompt ausglitt und den Arm ausstrecken musste, um nicht erneut zu stürzen. Hinter ihm kam Claudio stöhnend wieder zu sich und versuchte aufzustehen. Andrej ließ seine üble Laune ohne die Spur eines schlechten Gewissens an ihm aus, indem er ihm, ohne auch nur hinzusehen, den Ellbogen gegen die Stirn rammte.
    Die Gestalt war gerade dabei, mit schnellen Schritten in der Dämmerung zu verschwinden, als Andrej aus dem Grab herausstieg. Abu Dun schien wie vom Erdboden verschluckt. Erst nach einem Augenblick meinte Andrej einen

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