Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Corinna ins Wort. »Ich verspreche es, bei allem, was mir heilig ist.«
Andrej war nicht sicher, ob es überhaupt etwas gab, was Corinna heilig war, winkte sie aber nur näher heran. Corinna schien wohl zu begreifen, dass sie alles erreicht hatte, was sie in diesem Augenblick erreichen konnte, und machte eine knappe Kopfbewegung nach links. Andrej hatte das Gefühl, ziemlich willkürlich.
Selbst Corinna schien trotz ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit die Ablehnung zu spüren, die dieser Ort allem entgegenbrachte, was lebte und atmete. Sie alberte zwar noch eine Weile herum, wurde aber immer leiser und einsilbiger, und auf dem letzten Stück sagte sie schließlich gar nichts mehr und antwortete nur noch auf direkte Fragen.
Obwohl der Weg – wie ihm hinterher klar wurde – nicht einmal besonders weit war, kam er ihm doch endlos vor. Vielleicht weil die Friedhofsinsel, genau wie Sant Erasmo, ganz und gar nicht seinen Erwartungen entsprach. Es war kein einheitlicher großer Gottesacker, sondern eine Ansammlung der unterschiedlichsten Friedhöfe verschiedenster Religionen, die sich um ebenso unterschiedliche Kapellen, Synagogen und Tempel gruppierten, voneinander getrennt durch schmale Alleen oder Büsche oder auch nahtlos ineinander übergehend – eine unheimliche Landschaft aus Kreuzen und Grabsteinen, kleinen Mausoleen oder schlichten Gräbern, die allenfalls mit schmucklosen Holztafeln gekennzeichnet waren, wenn überhaupt.
Zumindest seinem Gefühl nach mussten sie das kleine Eiland einmal zur Gänze durchquert haben, als Corinna endlich langsamer wurde und dann auf eine kleine Kapelle nur noch ein Stück vor ihnen deutete, die in der immer rascher verblassenden Dämmerung etwas sonderbar Abweisendes hatte, als verlöre sie mit dem schwächer werdenden Licht des Tages ihre Bestimmung.
»Hier beginnt der Armenfriedhof«, flüsterte sie, doch die Dunkelheit gab ihren Worten zusätzliches Gewicht, sodass er ihre Angst hörte, so als fürchte sie etwas, das zwischen den Gräbern lauern mochte. »Ich nehme an, dass wir den Dottore hier finden.«
Das musste sie nicht annehmen. Gleich neben der verfallenen Kapelle stand ein zweirädriger Karren, den er vor einer Stunde schon einmal gesehen hatte – in dem kleinen Schuppen in Scalsis Spital. Und da waren Geräusche, sehr leise, aber für sein feines Gehör dennoch wahrnehmbar. Statt auf den Leiterwagen deutete er jedoch auf die Kapelle.
»Da ist jemand.«
Corinnas zweifelnder Blick flog zwischen dem kleinen Gebäude und ihm hin und her. Sie wollte etwas sagen, doch Andrej ging bereits weiter und legte wie zufällig die Hand auf den Schwertgriff, was sie auf der Stelle zum Schweigen brachte.
Auch aus der Nähe betrachtet bot die Kapelle einen Anblick des Verfalls. Wie er erwartet hatte, gab es nur zwei schmale, vergitterte Fenster. Die Tür hing zwar ein wenig schief in den Angeln, sah aber dennoch äußerst stabil aus. Mit einiger Mühe zog er sie auf, spähte in den dunklen Raum dahinter und erblickte genau das, was er erwartet hatte, nämlich eine Menge Staub und sonst nichts.
»Und?«, spöttelte Corinna hinter ihm. »Irgendwelche versteckte Unholde, gegen die Ihr mich verteidigen müsst, mein tapferer Recke?«
»Nein, aber es ist … interessant«, antwortete Andrej. »Sieh selbst.«
Gehorsam, aber misstrauisch trat sie neben ihn und versuchte, das staubige Zwielicht mit Blicken zu durchdringen. »Da ist niemand.«
»Doch«, antwortete Andrej, legte ihr die Hand auf die Schulter und schob sie durch die Tür. »Du.«
Und noch bevor sie begriff, trat er einen Schritt zurück, zog die Tür zu und verkantete sie mit einem entschlossenen Ruck.
»He!«, drang Corinnas protestierender Ausruf durch das morsche Holz. »Was fällt dir ein?«
Andrej wartete, bis sie etliche Male vergebens an der morschen Klinke gerüttelt und ihn dadurch überzeugt hatte, dass sie auch wirklich gut verwahrt war, dann antwortete er: »Macht es Euch bequem, Signorina. Und keine Angst. Ich hole Euch auf dem Rückweg wieder ab!«
»Das wagst du nicht!«, giftete Corinna. »Ich warne dich, Andrej Delãny! Du machst sofort die Tür auf, oder ich schwöre dir, dass ich …«
Andrej hörte vorsichtshalber nicht mehr hin, um zu erfahren, was für ein schlimmes Schicksal sie ihm zugedacht hatte (er würde es früh genug herausfinden), sondern wandte sich rasch ab und ging.
Die Geräusche, die er gerade schon einmal gehört hatte, wiesen ihm zuverlässig den Weg. Dennoch bewegte er sich
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