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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie nicht gehört.
    Falls er mich jetzt begrüßte, so nahm ich es nicht wahr. Er sah mich bloß an, eine strahlende Gestalt in Spitzen und Juwelen. Und es war wie Aschenputtel, das sich auf diesem Ball zu erkennen gibt, wie Domröschen, das unter einem Spinnengewebe seine Augen öffnet und es mit einer Handbewegung fortwischt. Vollendete, fleischgewordene Schönheit - mir verschlug es den Atem.
    Gekleidet wie ein ganz normaler Sterblicher, wirkte er noch übernatürlicher. Sein Gesicht war allzu betörend, und seine Augen waren allzu unergründlich, und für den Bruchteil einer Sekunde blitzten sie auf, als seien sie die Fenster zu den Feuern der Hölle. Und als er sprach, war seine Stimme so leise, daß ich Mühe hatte, sie zu verstehen: Die ganze Nacht hast du Ausschau nach mir gehalten, sagte er, und hier bin ich und warte auf dich. Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet.
    Als ich dastand, unfähig, meinen Blick von ihm zu wenden, hatte ich das Gefühl, daß mir in all meinen Erdenjahren nie wieder so klarwerden würde, welchen Schrecken wir wirklich darstellten.
    Inmitten dieser Menschenmenge machte er einen herzzerreißend unschuldigen Eindruck. Und doch sah ich die Grabgewölbe, wenn ich ihn anblickte, und ich hörte das Getrommel der Pauken. Ich sah von Fackeln erleuchtete Gegenden, in denen ich nie gewesen war, hörte undeutliche Beschwörungen, spürte die Hitze tobender Feuer auf meinem Gesicht. Aber nicht er verströmte diese Visionen, sie kamen vielmehr aus meinem eigenen Inneren.
    Selbst Nicolas, sterblich oder unsterblich, war nie so verführerisch gewesen. Und nie hatte mich Gabrielle derart in Bann geschlagen.
    Gütiger Himmel, das war Liebe. Das war Begierde. Und all meine vergangenen Liebschaften waren in den Schatten gestellt. Und in murmelnden Gedankenströmen ließ er mich wissen, daß es äußerst töricht von mir gewesen sei, daran den geringsten Zweifel zu hegen.
    Wer kann uns so lieben, dich und mich, wie wir einander lieben können?
    flüsterte er, und seine Lippen schienen sich tatsächlich zu bewegen.
    Ich ging auf ihn zu. Ich war mir nicht sicher, ob er seine rechte Hand hob, um mich herbeizuwinken, dann hatte er sich umgewandt, und ich sah vor mir die Gestalt eines jungen Knaben mit schmalen Hüften und kräftigen Schultern und festen, schlanken Waden unter seinen Seidenstrümpfen, einen Knaben, der sich umdrehte, als er die Tür öffnete und mich wieder zu sich winkte.
    Und mich beschlich ein verrückter Gedanke.
    Ich ging hinter ihm her, und es war, als wären all die anderen Dinge nie passiert. Nie hatte es das Gewölbe unter Les Innocents, nie hatte es diesen schrecklichen Dämon gegeben.
    Wir waren die Summe unserer Begierden, und das war unsere Rettung, und der grenzenlose Schrecken meiner Unsterblichkeit breitete sich nicht mehr vor mir aus, und wir segelten in ruhigen, vertrauten Gewässern, und die Zeit war reif, einander zu umfangen.
    Ein dunkles Gemach umgab uns, einsam, kalt. Der Lärm des Festes war weit entfernt. Heiß durchpulste ihn das Blut, das er getrunken hatte, und ich konnte sein Herz in all seiner Kraft hören. Er zog mich näher an sich, und hinter den hohen Fenstern flackerten die Lichter der vorbeifahrenden Kutschen, kündeten von Geborgenheit und Wohlergehen und allem, was Paris ausmachte.
    Ich war nie gestorben. Die Welt fing wieder von vorne an. Ich öffnete meine Arme und spürte sein Herz gegen meines schlagen, und laut rief ich meinem Nicolas zu, versuchte, ihn zu warnen, ihm zu sagen, daß wir alle dem Untergang geweiht waren. Unser Leben entglitt uns Stück um Stück, und als ich die Apfelbäume im Garten sah, durchtränkt von grünem Sonnenlicht, drohte ich den Verstand zu verlieren.
    »Nein, nein, mein Liebster«, flüsterte er, »nur Friede und Zärtlichkeit und deine Arme in meinen.«
    »Du weißt, daß alles reiner Zufall war«, flüsterte ich plötzlich. »Ich bin ein widerborstiger Kerl. Ich heule wie ein launisches Kind. Ich will heim.«
    Ja, ja, seine Lippen schmeckten nach Blut, aber nicht nach Menschenblut. Es war das Elixier, das mir Magnus verabreicht hatte, und ich schreckte zurück - diesmal konnte ich davonkommen. Ich hatte noch mal eine Chance. Das Blatt hatte sich gewendet.
    Ich schrie laut hervor, daß ich nicht trinken würde. Niemals. Und dann spürte ich, wie sich zwei Pfeile in meinen Hals gruben und mitten in meine Seele.
    Ich konnte mich nicht rühren. Wie damals in jener Nacht durchflutete mich ein Verzückungstaumel,

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