Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Verwünschungen. Was war meine Wut gegen sein Leid, seine Verzweiflung?
Das war vielleicht der Grund, warum ich mich bückte und ihn hochhob. Und vielleicht habe ich das auch nur getan, weil er so überaus schön und verzweifelt war, und immerhin gehörten wir ja derselben Zunft an.
Es war doch nur natürlich, daß ihn jemand seiner Gattung von dieser Stätte rührte, wo ihn Sterbliche über kurz oder lang aufgespürt hätten, um ihn zu verjagen.
Er leistete keinerlei Widerstand. Er stand sofort wieder auf eigenen Füßen. Und dann ging er benommen neben mir her, und, mein Arm um seine Schulter geschlungen, lenkten wir unsere Schritte fort vom Palais Royal in Richtung Rue St.Honoré.
Ich beachtete die Passanten kaum, bis ich unter den Bäumen eine vertraute Gestalt ausmachte, die keinen Geruch von Sterblichkeit verströmte, und mir wurde klar, daß Gabrielle dort schon eine ganze Weile gewartet hatte.
Sie stob hastig und lautlos vor, betroffenen Blicks, als sie die blutdurchtränkten Spitzen und die Wunden auf seiner weißen Haut sah, und sie wollte mir helfen, ihn fortzuschleppen, wenn sie auch nicht so recht wußte, wie.
Irgendwo weit hinten in den dunklen Gärten hielten sich die anderen auf. Ich hörte sie, ehe ich sie sah. Nicki war auch unter ihnen.
Sie waren gekommen, wie Gabrielle gekommen war, anscheinend von dem Getöse über Meilen hinweg angezogen, und sie warteten nur und sahen zu, wie wir unserer Wege zogen.
2
Wir brachten ihn zu den Mietställen, und dort hob ich ihn auf mein Pferd. Da er jeden Moment hinunterzufallen drohte, setzte ich mich hinter ihn, und dann ritten wir zu dritt los. Während des ganzen Wegs fragte ich mich, was ich tun sollte. Ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, ihn in mein Versteck zu bringen. Gabrielle äußerte keinerlei Einwände. Von ihm vernahm ich gleichfalls nichts, und klein und verschlossen saß er vor mir, leicht wie ein Kind, aber alles andere als ein Kind.
Sicher hatte er schon immer gewußt, wo der Turm war, aber hatten ihm die Gitter den Zutritt verwehrt? Jetzt war ich drauf und dran, ihn hereinzubitten. Und warum schwieg sich Gabrielle so beharrlich aus? Das war schließlich die Zusammenkunft, die wir gewollt hatten, das Ereignis, auf das wir gewartet hatten, aber sie wußte mit Sicherheit, was er gerade angerichtet hatte.
Als wir endlich vom Pferd stiegen, ging er vor mir her und wartete am Gatter auf mich. Ich hatte den Eisenschlüssel hervorgeholt und überlegte, welche Versprechen man von solch einem Monster einfordern sollte, ehe man es über seine Schwelle ließ. Galten die alten Gesetze der Gastfreundschaft auch für die Geschöpfe der Nacht?
Seine Augen waren groß und braun und trüb verschlafen. Er blickte mich lange und schweigend an, und dann streckte er seine linke Hand vor, und seine Finger klammerten sich um die eiserne Querstange des Gatters. Hilflos sah ich zu, wie sich das Gatter laut knirschend von den Steinpfosten löste. Aber er hielt inne und begnügte sich, die Eisenstange ein wenig zu verbiegen. Alles klar. Er hätte jederzeit in den Turm dringen können.
»Komm«, sagte Gabrielle ein wenig ungeduldig. Und sie führte uns die Treppe zur Gruft hinunter.
Dort war es kalt, wie immer. Die warme Frühlingsluft drang nie hierher. Gabrielle entfachte ein großes Kaminfeuer, und ich zündete unterdessen die Kerzen an. Und während er auf der Steinbank saß und uns beobachtete, merkte ich, daß er sich in der Wärme veränderte. Er fing richtig zu atmen an, und er schien zu wachsen. Er sah sich um, saugte das Licht förmlich auf. Sein Blick war klar.
Ich setzte mich auf eine andere Bank und ließ meinen Blick, so wie er, durch die Gruft schweifen.
Gabrielle war die ganze Zeit stehengeblieben. Jetzt ging sie auf ihn zu. Sie zog ein Taschentuch hervor und betupfte sein Gesicht. Er aber starrte sie an, so wie er das Feuer anstarrte und die Kerzen und die Schatten, die über die gewölbte Decke huschten. Und mir schauderte, als ich feststellte, daß die Wunden in seinem Gesicht fast völlig verschwunden waren! Er sah wieder ganz normal aus, nur ein wenig ausgemergelt durch den Blutverlust.
Mein Herz weitete sich unwillkürlich, wie auf den Zinnen, als ich seine Stimme gehört hatte. Dann aber mußte ich daran denken, wie er erst vor einer halben Stunde seine Lügen zunichte gemacht hatte, indem er mir seine Fangzähne in den Hals bohrte. Und ich haßte ihn.
Aber ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Gabrielle kämmte ihm
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