Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
das Haar und wischte ihm das Blut von den Händen, weniger aus Mitleid, als von Neugierde getrieben, von dem Wunsch, ihm nahe zu sein, ihn anzufassen. Im flackernden Kerzenlicht sahen sie einander an.
    »Was willst du jetzt tun?« fragte ich. »Willst du in Paris bleiben und Eleni und die anderen gewähren lassen?«
    Keine Antwort. Er musterte mich, musterte die Steinbänke, die Sarkophage. Drei Sarkophage.
    »Du weißt doch, was sie machen«, sagte ich. »Willst du Paris verlassen, oder willst du bleiben?«
    Kurz schien es, als wollte er mir wieder vorhalten, was ich ihm und den anderen Schreckliches angetan hatte. Einen Augenblick lang sah er erbärmlich aus, niedergeschlagen und voll menschlichen Elends. Wie alt mag er sein, fragte ich mich. Wie lange ist es her, daß er ein Mensch gewesen ist, der so aussah? Er hatte mich gehört, sagte aber nichts. Er sah erst Gabrielle an, die neben dem Kamin stand, dann mich. Und schweigend sagte er;
    Liebe mich. Du hast alles zerstört; Aber wenn du mich liebst, kann alles neu erstehen. Liebe mich.
    Und dann begann er zu sprechen. »Was kann ich tun, damit du mich liebst?« flüsterte er. »Was kann ich dir geben? Das Wissen all dessen, was ich erlebt habe, das Geheimnis unserer Macht, das Rätsel meiner Existenz?«
    Zu antworten wäre mir wie eine Lästerung vorgekommen. Und wie schon auf den Zinnen war ich den Tränen nahe. Anders als in seinen stummen Mitteilungen schwangen seine Gefühle auf anheimelnde Weise in seiner Stimme mit, wenn er wirklich sprach. Und wie schon in Notre Dame kam es mir vor, als würde er sprechen, wie Engel wohl sprachen, falls es sie gab.
    Aber dieser Gedanke verflüchtigte sich schnell, denn er schlang seinen Arm um mich und drückte seine Stirn an mein Gesicht. Er wiederholte seinen stummen Ruf, und diesmal war es nicht die dumpfe Verführung wie im Palais Royal, sondern die Stimme, die mir aus der Feme vorgesungen hatte, und er sagte mir, es gebe Dinge, die wir zwei erfahren und verstehen könnten, die Sterblichen immer verschlossen blieben. Er sagte mir, wenn ich mich ihm eröffnete, könnten wir uns gegenseitig unsere Geheimnisse und Kräfte schenken.
    Das war ein verlockender Gedanke. Doch eine innere Stimme sagte mir: Hüte dich!
    Instinktiv wich ich seinen Augen aus. Nichts auf der Welt hätte ich in diesem Moment lieber getan, als ihn geradewegs anzusehen und ihn zu verstehen, doch wußte ich, daß ich das nicht durfte. Ich sah wieder die Gebeine unter Les Innocents, die Höllenfeuer, die im Palais Royal in seinen Augen geflackert hatten. Und alle Spitzen und aller Samt der Welt konnten ihm kein menschliches Gesicht verleihen.
    Es gelang mir nicht, ihm diese Gedanken zu verbergen, und um so mehr schmerzte es mich, daß es mir nicht möglich war, sie Gabrielle zu übermitteln. Und die schreckliche Stille zwischen mir und Gabrielle war in diesem Moment für mich fast nicht mehr zu ertragen.
    Mit ihm konnte ich sprechen, ja, mit ihm konnte ich Träume träumen. Etwas in meinem Inneren trieb mich, ihn zu umarmen, und ich hielt ihn fest und kämpfte gegen meine Verwirrung und meine Begierde an.
    »Geh aus Paris fort, ja«, flüsterte er, »aber nimm mich mit. Ich weiß nicht, wie ich hier jetzt noch leben soll. Ich taumle durch einen Karneval der Schrecken. Bitte… «
    Ich hörte mich nein sagen.
    »Bedeute ich dir nichts?« fragte er. Er wandte sich Gabrielle zu. Ihr Gesicht war schmerzerfüllt, und sie blickte ihn noch immer an. Ich konnte nicht erkennen, was in ihrem Herzen vorging, und zu meinem Leidwesen mußte ich feststellen, daß er mit ihr sprach und mich außen vor ließ. Wie lautete ihre Antwort? Aber dann flehte er uns an. »Gibt es nichts, was ihr respektiert, außer euch selbst?«
    »Ich hätte dich heute abend vernichten können«, sagte ich. »Nur Respekt hat mich davon abgehalten.«
    »Nein.« Er schüttelte auf verblüffend menschliche Weise seinen Kopf. »Das hättest du niemals fertiggebracht.«
    Ich lächelte. Wahrscheinlich hatte er recht. Aber wir vernichteten ihn auf ganz andere Art.
    »Ja«, sagte er, »das stimmt. Ihr vernichtet mich. Helft mir«, flüsterte er. »Schenkt mir nur ein paar kurze Jahre all der Zeit, die ihr noch vor euch habt. Ich bitte euch. Mehr verlange ich nicht.«
    »Nein«, sagte ich erneut.
    Er saß direkt vor mir auf der Bank. Er sah mich an. Und wieder bot sein Gesicht jenes finstere Schauspiel grenzenloser Wut. Aber wie schon früher gewann er fast augenblicklich wieder die Fassung. Die

Weitere Kostenlose Bücher