Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
danach war.
Am Ende der ersten Woche hatte ich in einem Bürohochhaus der Innenstadt eine hübsche Rechtsanwältin aufgetrieben, die mich mit einer Geburtsurkunde, einem Ausweis und einem Führerschein ausstattete. Ein Großteil meines alten Vermögens war von Geheimkonten der unsterblichen Bank of London und der Rothschild Bank auf dem Weg nach New Orleans.
Aber wichtiger noch war, daß ich förmlich in der Wirklichkeit badete. Ich wußte nun, daß alles zutraf, was mir die Radiostimmen über das zwanzigste Jahrhundert erzählt hatten. Und wie ich so durch die Straßen des New Orleans von 1984 streifte, wurde mir eines ganz klar: Die trübselige Industrieepoche, während der ich mich zur Ruhe gebettet hatte, gehörte endlich der Vergangenheit an, und die Amerikaner hatten sich von der Prüderie und dem Konformismus des Spießbürgertums losgelöst. Den Menschen stand der Sinn wieder nach Abenteuer und Erotik, genau wie in der guten alten Zeit, vor dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als das spießige Bürgertum noch nicht das Heft in die Hand genommen hatte. Sie sahen sogar wieder aus wie in der guten alten Zeit. Die Männer waren nicht mehr wie Sam Spade gekleidet: Hemd, Schlips, grauer Anzug, grauer Hut. Sie trugen von neuem Samt und Seide in schreienden Farben, alles, wonach ihnen der Sinn stand, und die Haare mußten nicht mehr kurzgeschoren wie bei römischen Legionären sein, sondern sie trugen sie so lang, wie es ihnen gefiel.
Und die Frauen - ah, die Frauen waren phantastisch. Halbnackt in der Frühjahrssonne wie zu Zeiten der ägyptischen Pharaonen, hatten sie nur kurze Röcke und Kasackblusen an, oder sie trugen einfach Männerhosen und Hemden, die sich hauteng an ihre kurvenreichen Körper schmiegten. Sie malten sich an und behingen sich mit Gold und Silber, selbst wenn sie nur zum Gemüsehändler gingen. Sie hatten Wuschelkopffrisuren wie Marie Antoinette oder ließen ihr Haar frei im Wind flattern.
Erstmals vielleicht in der Geschichte waren sie so stark und interessant wie Männer.
Und es handelte sich um ganz gewöhnliche Menschen. Nicht nur um ein paar Reiche, die immer schon über den Geschlechterrollen gestanden und eine gewisse Joie de vivre gepflegt hatten, was die bürgerlichen Spießer von Revolutionären einst als dekadent verteufelt hatten. Nein, die alte aristokratische Sinnenfreude war Allgemeingut geworden. Jeder hatte ein Recht auf Liebe, Luxus und Abwechslung.
Die Kaufhäuser glichen in ihrer Pracht orientalischen Palästen - man bewegte sich auf weichen Teppichen zwischen den Waren und wurde von einlullender Musik und gedämpftem Licht umflutet. Flaschen mit grünem und violettem Shampoo leuchteten wie Edelsteine auf den funkelnden Glasregalen. Kellnerinnen fuhren in todschicken Limousinen zur Arbeit. Hafenarbeiter gingen abends nach Hause, um sich in ihren beheizten Swimming-pools zu erholen. Putzfrauen und Klempner warfen sich nach getaner Arbeit groß in Schale.
Bittere Armut und tiefer Dreck, seit Menschengedenken fester Bestandteil der Großstädte, gehörten scheinbar der Vergangenheit an. Nirgends erblickte man mehr Einwanderer, die halbverhungert umkippten. Die Slums, wo einst acht oder zehn Menschen in einem Zimmer hausen mußten, waren verschwunden. Bettler, Krüppel, Waisenkinder und Aussätzige waren nur noch so selten zu sehen, daß sie in den blitzsauberen Straßen kaum mehr auffielen. Und sogar die Alkoholiker und Schwachsinnigen, die auf Parkbänken und in Busbahnhöfen nächtigten, hatten ausreichend zu essen, besaßen Kofferradios und trugen saubere Kleidung.
Aber das war nur die Oberfläche. Viel verblüffender noch waren die wirklich tiefgreifenden Umwälzungen. So schien alle Vergänglichkeit wie magisch aufgehoben zu sein. Altes wurde nicht mehr routineartig durch Neues ersetzt. Die Umgangssprache etwa hatte sich seit dem neunzehnten Jahrhundert kaum verändert. Sogar alte Ausdrücke wie »Die Luft ist rein« oder »Total im Eimer« oder »Du wirst das Ding schon schaukeln« waren noch geläufig. Andererseits waren neue Redewendungen in aller Munde, wie »Sie haben dich einer Gehirnwäsche unterzogen« oder »Freudsche Fehlleistung« oder »Kann ich nix mit anfangen«.
In Kunst und Unterhaltung erfuhren sämtliche vorausgegangenen Jahrhunderte eine An »Recycling«. Musiker spielten Mozart genauso selbstverständlich wie Jazz oder Rock, und die Leute gingen heute in ein Stück von Shakespeare und morgen in einen neuen französischen Film.
In riesigen,
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