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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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lauschte ich nur: Ich lauschte dem Lied einer jeden Seele, die sich mir mitteilen, das heißt, sich mir mit meinen Mitteln verständlich machen konnte; jede auch nur einigermaßen zusammenhängende Botschaft, Frage, Idee nahm ich auf, die an mein Ohr drang. Was wußten diese Seelen? Wozu waren sie geworden?
    Und schon bald entdeckte ich, daß es in diesem schrecklichen, von Trübsal erfüllten Ort feste Bindungen gab. Sie waren dem Wunsch der Seelen entsprungen, eine verwandte Seele zu finden. Scheol war in Ebenen unterteilt, wenn auch nur grob, aber es gab eine Ordnung, die den Grad der Wachheit, Anerkennung, Verwirrung oder des Zorns jeder Seele widerspiegelte.
    Der Erde am nächsten waren die armen Verdammten, die sich immer noch abmühten, zu essen, zu trinken oder menschliche Körper in Besitz zu nehmen, jene, die nicht akzeptierten, was ihnen geschehen war, oder es nicht einmal verstanden.
    Direkt darüber befanden sich die hoffnungslos verwirrten Seelen, die nichts anderes kannten, als zu kämpfen, die kreischten, heulten, stießen, schoben, stritten, um zu verletzen, zu besiegen, zu überwältigen oder zu entkommen. Diese Seelen nahmen mich nicht einmal wahr. Doch auch solche Dinge haben Sterbliche schon geschaut, so daß sie in sehr vielen Schriften und Manuskripten im Laufe der Jahrhunderte immer wieder beschrieben wurden. Sicherlich ist das alles nichts Neues für dich.
    Weiter entfernt von diesen Kämpfen, der Ruhe des Himmels schon sehr nahe - wobei ich hier nicht im wörtlichen Sinne von einer Richtung rede - waren die, die verstanden hatten, daß sie sich außerhalb der Naturgesetze und an einem ändern Ort befanden. Und diese Seelen - von denen einige seit den Anfängen von Scheol dort waren - hatten eine abwartende Haltung eingenommen. Geduldig beobachteten sie die Erde, und entsprechend verhielten sie sich ihren Mitseelen gegenüber, denen sie liebevoll zu helfen versuchten, damit sie ihren Tod akzeptierten.«
    »So fandest du die Seelen, die liebten.«
    »Oh, sie alle lieben«, sagte Memnoch. »Wirklich alle. Es gibt keine Seele, die nicht wenigstens etwas liebt, und sei es nur eine Erinnerung oder ein Ideal. Aber ich fand auch die in friedvoller Heiterkeit existierenden Seelen, die nicht nur einander in unerschöpflicher Liebe zugetan waren, sondern die auch die Menschen auf der Erde liebten. Da gab es einige, die ihre Aufmerksamkeit vollends der Erde zugewandt hatten, und zwar aus dem alleinigen Wunsch heraus, die Gebete der Bedürftigen, Kranken und Verzweifelten zu erhören.
    Und wie du weißt, hatte die Erde zu diesem Zeitpunkt schon unbeschreibliche Kriege gesehen, und ganze Zivilisationen waren durch Vulkanausbrüche untergegangen. Es vervielfältigten sich die Gefahren, die Leid und Schmerz zur Folge hatten, und das nicht nur im Hinblick auf den fortschreitenden Wissensstand der Menschen oder auf ihre kulturelle Entwicklung. Hier war ein System entstanden, das kein Engel mehr verstand. Wenn ich die Erde betrachtete, machte ich nicht einmal mehr den Versuch, zu begreifen, welche heftigen Gemütsbewegungen die eine Dorfgemeinschaft in dem einen Wald zu Feinden der in einem anderen Wald machten; oder warum eine Bevölkerungsgruppe sich über Generationen mit der Aufschichtung von Steinen befaßte. Zwar wußte ich mehr oder weniger alles, aber jetzt war ich auf keiner irdischen Mission. Mein Reich war nun das der Toten.
    Ich begab mich in die Nähe der Seelen, die auf die Erde voller Barmherzigkeit und Mitleid sahen. Die durch ihre Gedankenkraft zum Guten hin wirken wollten. Zehn, zwanzig, dreißig, ja, Tausende fand ich da. Tausende, sage ich, hatten jede Hoffnung auf Wiedergeburt oder gerechten Lohn aufgegeben. Das waren Seelen, die voll und ganz akzeptierten, daß dies der Tod war, die Ewigkeit. Seelen, bezaubert von Fleisch und Blut, so wie wir Engel davon bezaubert waren und noch sind.
    Ich setzte mich manchmal zu diesen Seelen und sprach mit ihnen, sofern ich ihre Aufmerksamkeit erlangen konnte. Bald wurde mir klar, daß sie meinem Äußeren recht gleichgültig gegenüberstanden, weil sie von der Vermutung ausgingen, daß ich es mir selbst ausgedacht hatte, so, wie sie sich ihre Gestalt gewählt hatten; einige von ihnen ähnelten ja Männern oder Frauen, andere wiederum kümmerte ihre Gestalt gar nicht. Vermutlich hielten sie mich einfach für recht neu in Scheol, weil ich Arme und Beine und Flügel so großartig zu Schau stellte. Doch wenn man sich ihnen sehr höflich näherte, konnte

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