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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ich sei. Diese Frage stellen die Seelen der Toten normalerweise nicht, sondern sie greifen in der Regel sofort auf ihre unnützen Vorurteile und fixen Ideen zurück. Doch sie fragte: ›Was und wer bist du? Hier habe ich so etwas wie dich noch nie gesehen. Jedoch zu der Zeit, als ich noch lebte.‹
    ›Ich möchte dir das vorerst noch nicht sagen‹, antwortete ich. ›Ich möchte von dir etwas erfahren. Würdest du mir sagen, warum du so glücklich wirkst? Denn du bist doch glücklich, nicht wahr?‹
    ›Ja‹, erwiderte sie, ›denn ich bin mit denen zusammen, die ich liebe, und auf das dort unten schaue ich hinab, auf alles.‹
    ›So beschäftigst du dich also nicht mit Fragen über all dies hier?‹ drängte ich. ›Du hast nicht das Verlangen, zu erfahren, warum du geboren wurdest, warum du leiden mußtest oder was mit dir geschah, als du starbst, oder warum du hier bist?‹
    Zu meinem erneuten Erstaunen lachte sie jetzt. Gelächter hatte ich in Scheol noch nie gehört. Es war ein sanftes, wohltuendes und fröhliches Lachen, ein melodisches Lachen, beinahe wie das Gelächter der Engel, und ich glaube, als Antwort darauf stimmte ich, ganz meiner Natur gemäß, einen leisen Gesang an, und daraufhin blühte diese Seele auf, so wie die menschlichen Seelen auf der Erde aufgeblüht waren, als sie sich gegenseitig zu lieben lernten! Sie wurde zutraulicher und öffnete sich mir. ›Du bist schön‹, flüsterte sie ehrfürchtig.
    ›Doch warum, warum nur sind alle anderen an diesem Ort so unglücklich, und warum seid nur ihr wenigen hier so froh und friedvoll? Ja, ich weiß, ich habe hinabgeschaut. Und ich weiß, du bist mit deinen Lieben hier. Doch so geht es doch all den ändern auch.‹
    ›Wir grollen Gott nicht mehr, antwortete sie. ›Niemand hier. Wir hassen Ihn nicht.‹
    ›Und die ändern hassen Ihn?‹
    ›Das vielleicht nicht‹, sagte sie sanft, sehr behutsam, als fürchtete sie, mich zu verletzen. ›Es ist eher so, daß sie Ihm nicht vergeben können - nicht den Zustand der Welt, nicht, was dort geschieht, nicht ihren Aufenthalt in Scheol. Doch wir können das. Wir haben Ihm vergeben, aus den unterschiedlichsten Gründen zwar, doch wir können Gott vergeben, das ist uns gelungen. Wir haben uns damit abgefunden, daß unser Leben eine wundersame Erfahrung und des Leidens und der Schmerzen wert war, und wir hegen und pflegen die Erinnerung an die Freuden und die Augenblicke der Harmonie, die wir erlebt haben. Wir haben Ihm vergeben, daß Er uns keinerlei Erklärungen gibt, daß Er nichts rechtfertigt, daß Er die Schlechten nicht straft und die Guten nicht belohnt, obwohl die anderen Seelen, lebendig oder tot, anscheinend genau das von Ihm erwarten. Wir haben ihm vergeben. Wir wissen es nicht, doch vermuten wir, daß Er vielleicht das große Geheimnis kennt, wie all dies Leid zustande kommen und zu etwas gut sein kann. Und wenn Er es nicht erklären will, nun, Er ist Gott. Doch wie es auch sei, wir vergeben Ihm, wir lieben Ihn in dieser Vergebung, obwohl wir wissen, daß wir Ihm möglicherweise auf ewig gleichgültig sind, so gleichgültig wie die Kiesel auf einem irdischen Strand.‹
    Ich war sprachlos. Ganz still saß ich da, während sich die Seelen um mich versammelten. Dann sagte eine sehr junge Seele, die eines Kindes: ›Es schien uns zuerst schrecklich, daß Gott uns in die Welt kommen ließ, nur damit wir ermordet wurden, wie es uns geschah, uns allen - denn siehst du, wir drei wurden im Krieg getötet -, doch wir haben Ihm vergeben, weil wir wissen, daß er die Einsicht in die Dinge haben muß, da er etwas so Wunderbares wie Leben und Tod schaffen konnten‹
    Und eine andere Seele fügte hinzu: ›Weißt du, es ist doch folgendermaßen: Wir würden das alles aufs neue über uns ergehen lassen, wenn es sein müßte. Und wir würden dann versuchen, besser zu den anderen zu sein und liebevoller. Aber das wäre es wert.‹
    ›Ja‹, fiel noch eine weitere ein. ›Es kostete mich ein ganzes irdisches Leben, Gott den Zustand der Welt zu vergeben, doch ich tat es, bevor ich starb, so daß ich nun mit diesen hier beisammen bin. Und nun sieh, wenn du dich gründlich umschaust, wirst du finden, daß wir hier etwas wie einen Garten geschaffen haben. Das ist schwer für uns; denn wir können nur unsere Gedanken einsetzen, unsere Willenskraft, unser Gedächtnis und unsere Phantasie, doch wir haben einen Ort geschaffen, an dem wir dessen gedenken können, was gut war. Und so vergeben wir Ihm und lieben Ihn

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