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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verschlungen.
    »Tretet ein«, sangen die Hilfreichen Toten, diese menschlich geformten, mit menschlichem Ebenmaß ausgestatteten Geister - wie Roger damals waren sie sich bewußt, Geister zu sein -, die in Gewänder aus allen möglichen Epochen, allen möglichen Landstrichen gekleidet waren. Männer, Frauen, Kinder, alte Leute; ihre Körper schienen nicht völlig kompakt, aber auch nicht schemenhaft, und sie alle streckten ihre Hände diesem jenseits liegenden Tal entgegen in dem Versuch, diesen dort drüben Kämpfenden, Fluchenden, nicht vom Fleck Kommenden behilflich zu sein.
    Da gab es indische Seelen in seidenen Saris und ägyptische in baumwollenen Djellabas und Seelen, die in Moden längst vergangener Königreiche gekleidet waren. Prachtvolle, mit Juwelen besetzte Hofgewänder, Gewänder aus der ganzen Welt waren hier zu sehen;
    mit Federn verzierte der sogenannten wilden Völker, dunkle Priesterröcke und ganz individuelle Entwürfe vom plump gearbeiteten bis hin zum absolut prächtigsten Stück.
    Ich hielt mich an Memnoch. War das hier nun schön, oder war es eher schaurig, dieser Wust aus allen Ländern und Epochen? Unbekleidete, Schwarze, Weiße, Asiaten, alle Rassen bewegten sich mit hilfsbereit dargebotenen Händen zuversichtlich zwischen den verlorenen, verwirrten Seelen!
    Meine Füße schmerzten; der Boden bestand aus schwarzem, scharfkantigem, trocknem Mergel, mit Muschelschalen übersät. Wozu das? Wozu?
    Überall gab es Böschungen und flache Senken, das Gelände stieg hoch auf zu steilen Klippen und rührte über tiefe Abgründe, in flackerndem, dunstigem Dämmerlicht - dem Höllenschlund gleich.
    Feuerschein zuckte und blitzte in Torwegen, Treppen führten schwindelerregend die unglaublich steilen Mauern hinauf, die alles überragten, Täler, die ich gerade noch in der Feme erkennen konnte, oder brausende Ströme, golden und dampfend und rot von Blut.
    »Memnoch, hilf mir!« flüsterte ich. Ich wagte nicht, die Hand von dem Schleier zu lösen, so konnte ich mir nicht beide Ohren zuhalten. Das Geheul schnitt in meine Seele, als sei es eine Axt und könnte Teile davon abschlagen. »Memnoch, das ist unerträglich!«
    »Wir alle wollen dir helfen«, riefen die Hilfreichen Geister, gleichzeitig drängte eine ganze Meute, die Augen voller Anteilnahme weit aufgerissen, von allen Seiten heran, um mich zu küssen und zu umarmen. »Lestat ist gekommen. Lestat ist hier. Memnoch hat ihn hergebracht. Komm, tritt ein in die Hölle.«
    Stimmen ertönten und verstummten wieder oder überlagerten sich, es klang psalmodierend, so, als bete eine große Gemeinde den Rosenkranz, und jeder begänne an einer anderen Stelle.
    »Wir lieben dich.«
    »Hab keine Angst.«
    »Wir brauchen dich.«
    »Bleib bei uns.«
    »Verkürze unsere Frist.«
    Ihre zarte, wohltuende Berührung fühlte ich trotz des Entsetzens, das mir dieses geisterhafte, bleiche Licht einflößte, trotz der explosionsartigen Stichflammen und des stinkenden Rauchs.
    »Memnoch!« Ich klammerte mich an seine geschwärzte Hand, während er mich hinter sich herzog; er wirkte ganz abwesend, seine Augen schienen prüfend über sein Reich zu schweifen.
    Unterhalb von uns lagen die endlosen Ebenen, bevölkert mit umherstreifenden oder streitenden Verstorbenen. Weinende und verlorene, suchende und angsterfüllte, die von den Hilfreichen Geistern geleitet, zusammengeschart und getröstet wurden. Dazwischen andere, die in der Hoffnung auf ein Entkommen kopflos davonrannten und doch nur in endlosen Kreisen durch die geisterhafte Menge taumelten.
    Woher kam dieses höllische Licht, diese grelle, erbarmungslose Beleuchtung? Funkenschauer, plötzliche Ausbrüche von feurigem Rot, Flammen, bogenförmig über den Gipfeln aufsteigende Kometenschwärme.
    Geheul echote von den Klippen. Seelen wimmerten und sangen. Die Hilfreichen Toten eilten, den Gestürzten auf die Füße zu helfen, oder führten diejenigen, die sich endlich an der einen oder anderen Treppe oder an einer Tor- oder Höhlenöffnung oder einem Weg eingefunden hatten.
    »Ich verfluche Ihn, verfluche Ihn, verfluche Ihn!« hallte es von den Berghängen und aus den Tälern wider.
    »Keine Gerechtigkeit. Trotz allem, was geschah!«
    »Erzähl mir doch nicht…«
    »… Jemand muß für Gerechtigkeit sorgen…«
    »Komm, ich halte dich fest bei der Hand«, sagte Memnoch und ging voran, wobei er den unnachgiebig strengen Ausdruck seines Gesichts beibehielt. Er führte mich eilig eine hallende Treppenflucht hinunter,

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