Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
auch. Was soll ich denn damit anfangen?«
»Ich will von den Dingen sprechen, die wirklich zählen. Sieh mich an! Bitte, sieh mich an und versuch, mich zu verstehen, mich zu lieben und Dora zu lieben an meiner Statt. Ich bitte dich.«
Es war nicht nötig, in sein Gesicht zu sehen, um seine heftigen inneren Kämpfe, seinen Hilfeschrei wahrzunehmen. Was auf Gottes Erde könnte uns größeres Leid verursachen, als das eigen Kind, geliebtes eigen Fleisch und Blut, leiden zu sehen? Dora, so klein und zierlich, wie sie durch das leere Kloster streift. Dora auf dem Fernsehschirm, mit weit ausgebreiteten Armen, singend.
Ich muß nach Luft geschnappt, gezittert haben, sonstwie reagiert haben. Was weiß ich! Ich konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen, aber das hatte keine übernatürliche Ursache, ich fühlte mich nur so schrecklich elend durch die Erkenntnis, daß er da saß, greifbar, sichtbar, daß er Erwartungen an mich stellte, daß er die Schranke des Todes hatte überwinden können, daß er lange genug körperlos verharren konnte, um mir ein Versprechen abzuverlangen.
»Du liebst mich doch«, flüsterte er. Er wirkte so ruhevoll und so anziehend, weit jenseits jeder Schmeichelei.
»Leidenschaft«, hauchte ich. »Deine Leidenschaft hatte es mir angetan.«
»Ja, ich weiß. Ich fühle mich geehrt. Weder hat mich ein Laster überfahren, noch hat mich ein Killer erschossen. Du hast mich getötet. Und du mußt einer der Besten sein.«
»Wovon der Beste?«
»Wie immer ihr euch auch nennt. Du bist kein Mensch und bist doch einer. Du hast mir mein Blut ausgesaugt, hast es in dir aufgenommen. Es fließt noch in dir. Sicherlich bist du nicht der einzige.« Er wandte den Blick ab. »Vampire«, sagte er. »Als ich noch ein kleiner Junge war, in dem Haus in New Orleans, da habe ich Gespenster gesehen.«
»In New Orleans sieht jeder Gespenster.«
Er mußte lachen, sich selbst zum Trotz, ein kurzes, leises Gelächter.
»Ich weiß, aber ich habe sie wirklich gesehen, und nicht nur da, sondern später auch noch an anderen Orten. Aber ich habe nie an Gott oder den Teufel oder an Engel, Vampire oder Werwölfe geglaubt. Ich habe an nichts Derartiges geglaubt, das in den Lauf des Schicksals eingreifen oder die chaotische Dynamik beeinflussen könnte, die das Universum regiert.«
»Glaubst du jetzt an Gott?«
»Nein. Ich werde zwar - wie alle Geister, die ich je gesehen habe -versuchen, solange es nur geht, in dieser Form zu verharren, aber ich habe den leisen Verdacht, daß ich danach einfach langsam verblassen werde. Ich werde verlöschen. Wie eine Kerze. Das wird wohl auf mich warten. Auflösung. Und ich nehme das nicht persönlich, sondern ich denke das einfach nur, weil mein Ich - das, was davon übrig ist, was noch der Erde verhaftet ist - sich nichts anderes vorstellen kann. Oder was meinst du?«
»Mich versetzt beides gleichermaßen in Schrecken.« Ich würde ihm nicht von dem Verfolger erzählen. Ich würde ihn auch nicht nach der Statue fragen. Ich wußte jetzt, es war nicht sein Werk gewesen, er hatte der Statue kein Leben eingehaucht. Er war da schon tot gewesen, aufgestiegen.
»Das erschreckt dich?« fragte er ehrfürchtig. »Aber es widerfährt doch nicht dir. Du sorgst doch dafür, daß es anderen widerfährt. Aber jetzt laß mich noch etwas wegen Dora erklären.«
»Sie ist so schön. Ich werde… ich werde versuchen, ein Auge auf sie zu haben.«
»Nein, etwas mehr mußt du schon für sie tun. Sie braucht ein Wunder.«
»Ein Wunder?«
»Jetzt hör mal - was auch immer du genau bist, du lebst, aber du bist kein Mensch. Also kannst du doch Wunder bewirken, nicht wahr? Dann könntest du es auch für Dora tun, das kann doch für ein Wesen mit deinen Fähigkeiten kein Problem sein.«
»Du meinst, irgendeinen Schwindel mit einer gefälschten religiösen Erscheinung?«
»Na, was sonst? Ohne so ein Wunder wird sie die Menschheit nicht retten können, das weiß sie auch. Du könntest ihr dazu verhelfen.«
»Du spukst hier um mich herum und verfolgst mich bis hierher, nur um mir einen so schlitzohrigen Vorschlag zu unterbreiten!« brauste ich auf. »Du bist unrettbar verloren! Du bist tot! Und immer noch bist du ein Geschäftemacher, ein Gangster. Hör dich bloß an! Du willst, daß ich ein Wunder vortäusche, um Dora zu helfen? Du glaubst, sie würde das wollen?«
Ganz klar, das haute ihn um. Und zwar so sehr, daß er nicht einmal beleidigt war.
Er setzte das Glas ab und saß schweigend da. Gefaßt und
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