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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und sah ihn an.
    »Schon wieder auf der Jagd?« wisperte es.
     
    Es war das Opfer.
    Dort auf dem Hocker saß Roger. Seine Knochen waren heil, er war weder zerschlagen noch tot. An ihm war noch alles dran, inklusive Kopf und Händen. Er war nicht gegenwärtig. Er erweckte nur den Anschein, aber einen sehr gefestigten und ruhigen Anschein von Gegenwart, und er lächelte mich an, höchst entzückt über mein Erschrecken.
    »Was ist los, Lestat?« fragte er mich mit dieser Stimme, die ich im Laufe von sechs langen Monaten so sehr lieben gelernt hatte. »Hat dich in all den Jahrhunderten auch nicht eins deiner Opfer je als Gespenst heimgesucht?«
    Ich sagte gar nichts. Nicht da. Nein, nicht wirklich da. Stofflich, ja, aber nicht von der gleichen Stofflichkeit wie alles andere um uns herum. Andersgeartetes Gewebe, so wie David es damals beschrieben hatte. Ich versteifte mich. Was eine bemitleidenswerte Untertreibung ist, denn ich war absolut starr vor Unglauben und Wut.
    Er stand auf und setzte sich auf den Hocker direkt neben mich. Von Sekunde zu Sekunde wurde seine Erscheinung deutlicher und detaillierter sichtbar. Jetzt produzierte er sogar Geräusche wie ein lebendiger Organismus, allerdings nicht so wie ein atmender Mensch.
    »Noch ein paar Minuten, und ich habe mich genug gefestigt, um Zigaretten oder ein Glas Wein zu bestellen«, sagte er.
    Aus seiner Jacke - nicht die, die er trug, als ich ihn tötete, sondern aus einem seiner in Paris geschneiderten Lieblingsjacketts - zog er sein kleines goldenes Feuerzeug hervor und ließ die Butangasflamme aufschießen, gefährlich blaues Licht. Dann musterte er mich. Ich sah, daß sein welliges Haar frisch gekämmt war, seine Augen blickten klar. Roger, der Schöne. Seine Stimme klang noch genau so, als sei er lebendig. Ohne Akzent, keine Herkunft erkennbar, in New Orleans geboren, aber weitgereist. Nicht der gewählte britische, aber auch nicht der gedehnte Südstaatentonfall. Einfach seine rasche, präzise Aussprache.
    »Ich meine es ernst«, sagte er. »Willst du wirklich sagen, daß dir in all den Jahren keines deiner Opfer je erschienen ist?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Du erstaunst mich. Du erlaubst dir keinen Augenblick der Furcht, nicht wahr?«
    »Nein.«
    Inzwischen hatte sich seine Erscheinung gänzlich gefestigt. Ich wußte nicht, ob andere ihn auch sehen konnten, doch ich war mir fast sicher. Sein Aussehen war nicht ungewöhnlich. Mir fielen die Knöpfe an seinen weißen Manschetten auf, der weiße Kragen, über den die feinen Nackenhaare fielen, ich sah seine Wimpern, außergewöhnlich lang und dicht wie zu Lebzeiten.
    Der Barkeeper brachte mein Mineralwasser, ohne ihm auch nur einen Blick zu gönnen. Ich war mir immer noch nicht sicher. Der Junge war so unsensibel, sein Benehmen bewies gar nichts, außer daß ich in New York war.
    »Wie machst du das?« fragte ich.
    »Wie es alle Gespenster machen«, sagte er. »Ich bin tot. Schon seit fast zwei Stunden. Aber ich muß mit dir reden! Ich weiß nicht, wie lange ich das hier durchhalten kann, ich weiß nicht, wann ich anfange zu… Gott weiß was zu werden, aber bis dahin mußt du mir zuhören.«
    »Warum?«
    »Sei nicht so gemein«, flüsterte er und wirkte ehrlich verletzt. »Du hast mich ermordet.«
    »Na und du? Was ist mit denen, die du getötet hast - mit Doras Mutter zum Beispiel? Ist sie gekommen und hat dich um eine Audienz gebeten?«
    »Oh, ich hab’s gewußt. Ich hab’s gewußt!« rief er, sichtlich erschüttert. »Du weißt von Dora! Gott im Himmel, laß meine Seele zur Hölle fahren, aber laß nicht zu, daß der hier Dora etwas antut!«
    »Mach dich nicht lächerlich. Warum sollte ich Dora etwas tun? Ich war hinter dir her. Um die ganze Welt bin ich dir nachgejagt. Du wärst schon viel eher fällig gewesen, wenn ich nicht auf Dora soviel Rücksicht genommen hätte.«
    Der Barkeeper kam wieder vorbei. Das entlockte meinem Gefährten ein absolut ekstatisches Lächeln. Er schaute dem Jürgen Mann direkt ins Gesicht.
    »Tja, mein lieber Junge, laß sehen. Das allerletzte Glas, wenn ich mich nicht sehr täusche. Na, dann soll’s Bourbon sein; ich bin in den Südstaaten aufgewachsen. Was habt ihr da? Na, weißt du was, mein Sohn, bring mir ‘nen Southern Comfort.« Er ließ ein leises, vertraulich-heiteres Lachen hören.
    Der Barkeeper entfernte sich, und Roger wandte sich mir zornig zu.
    »Du mußt auf mich hören, was zur Hölle du auch bist - Vampir, Dämon, Teufel, das ist mir egal. Du mußt Dora

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