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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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davorstehen sehen. Wem gehört es denn jetzt?«
    »Ich weiß nicht. Ich hab’ es sausen lassen, wie so vieles. Aber jetzt stelle dir die folgende Szene vor: Ein schläfriger Sommerabend, ich bin gerade fünfzehn, fühle mich einsam, der Kapitän lädt mich in sein Zimmer ein, und da auf dem Tisch in dem hinteren Raum - er hatte zwei zur Straßenfront gelegene Zimmer gemietet und lebte in einem Wunderland von Sammlerstücken, Messinggegenständen und anderem -«
    »Ich kann es mir lebhaft vorstellen.«
    »- und da auf dem Tisch liegen diese mittelalterlichen Bücher. Winzige Gebetbücher aus dem Mittelalter. Natürlich erkenne ich ein Gebetbuch auf den ersten Blick, aber mittelalterliche Handschriften, nein. Ich war als kleiner Junge Meßdiener gewesen, jahrelang bin ich mit meiner Mutter jeden Tag zur Messe gegangen, ich konnte die lateinische Liturgie und was im Gottesdienst sonst noch an Latein benutzt wurde. Eins war jedoch klar: Ich sah, daß es sich um sehr seltene Gebetbücher handelte, daß der Kapitän sie deshalb unweigerlich verkaufen würde.
    ›Du kannst sie anfassen, Roger, aber sei vorsichtig damit‹, sagte er. Ich hatte ihn schon seit zwei Jahren besuchen dürfen, um mir seine Platten mit klassischer Musik anzuhören und mit ihm gemeinsam spazierenzugehen. Und jetzt war ich in dem Alter, in dem ich ihn auch sexuell interessierte, obwohl mir das nicht bewußt war und das hat auch nichts mit dem zu tun, was ich im Moment erzählen will.
    An jenem Tag telefonierte er gerade mit jemandem wegen eines Schiffes, das im Hafen festgemacht hatte. Ein paar Minuten später waren wir schon auf dem Weg dorthin. Ich wußte nie, was das alles bedeutete. Auf jeden Fall Schmuggelei. Alles, woran ich mich erinnere, ist, daß der Kapitän mit der Mannschaft - Holländer, glaube ich - um einen großen Tisch saß und daß mich ein netter Offizier, der mit starkem Akzent sprach, durch das Schiff führte und mir den Maschinenraum und den Funkraum zeigte und das Kartenzimmer. Ich wurde dessen nie müde; ich liebte Schiffe. Damals arbeiteten die Werften in New Orleans noch, überall waren Ratten und Hanf.«
    »Ich weiß.«
    »Erinnerst du dich an diese dicken Taue, mit denen die Schiffe am Kai vertäut waren, mit dem Rattenschutz daran - Stahlscheiben, die die Ratten am Hinüberklettern hindern sollten?«
    »Aber ja doch!«
    »Als wir an dem Abend nach Hause kamen, ging ich nicht wie üblich zu Bett, sondern fragte den Kapitän, ob ich nicht zu ihm hereinkommen und die Bücher betrachten dürfe. Ich wollte sie unbedingt noch einmal ansehen, ehe er sie verkaufte.
    Meine Mutter war nicht im Flur; sie schlief wohl schon.
    Ich möchte dir einen Eindruck von meiner Mutter vermitteln und von diesem Haus. Ich sagte schon, es war ziemlich elegant. Die Möbel in diesem Stil, der die Renaissance wieder aufleben ließ, alles maschinengefertigt, ganze Häuserblocks waren damit vollgestopft worden seit 1880.«
    »Ja.«
    »Das Haus besaß ein großartiges, gewundenes Treppenhaus mit farbigen Glasfenstern, und am Fuß der Treppe - übrigens ein Meisterwerk von Treppe, auf das Henry Howard wirklich stolz gewesen sein muß - in der Biegung stand der riesige Schminktisch meiner Mutter, stell dir das vor! Und in dieser großen Eingangshalle saß sie immer, an diesem Schminktisch, und bürstete sich ihr Haar. Ich kriege Kopfschmerzen, wenn ich nur daran denke. Das heißt, ich kriegte sie, als ich noch lebte. Dieser Anblick war wirklich tragisch, und obwohl ich doch damit aufgewachsen war, war mir immer bewußt, daß ein Schminktisch mit Marmorplatte, Spiegeln, Filigranarbeiten und Kerzenhaltern mitsamt der dunkelhaarigen Frau davor nicht in einen öffentlichen Hausflur gehörte.«
    »Und die Mieter nahmen das so hin?«
    »Ja, weil die Zimmer für einige von ihnen extra hergerichtet oder aufgeteilt worden waren; für den alten Mr. Bridey die ehemalige Dienstbotenhalle, für die blinde Miß Stanton ein winziges Zimmer im Obergeschoß, und weitere vier Apartments waren aus dem einstigen Gesindetrakt im hinteren Teil des Hauses entstanden. Unordnung wird mir immer extrem bewußt, um mich herum ist entweder absolute Ordnung oder dieses vernachlässigte Durcheinander wie dort, wo du mich getötet hast. Aber wenn ich dieses Haus wieder bewohnen sollte… Ach, das ist nicht wichtig. Was ich dir klarmachen wollte, ist, daß Ordnung und Regeln mein Glaubensbekenntnis sind, und als ich noch jung war, träumte ich davon. Ich wollte ein Heiliger sein, na ja,

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