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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ruhig schien er die Bar zu durchforschen. Er sah sehr würdevoll aus und gut zehn Jahre jünger als zum Zeitpunkt seines Todes. Ich schätzte, es war wohl nur natürlich, daß man, wenn man schon zum Gespenst wurde, wenigstens einen erfreulichen Anblick bieten wollte. Die unabänderliche, verhängnisvolle Faszination, die er auf mich ausübte, vertiefte sich noch. Roger: mein Opfer. Monsieur, Ihr Blut fließt in mir!
    Er wandte sich mir zu. »Du hast recht«, flüsterte er mit rauher, gebrochener Stimme. »Du hast ja so recht. Ich darf mit dir keine Absprachen treffen, damit du für sie als Wundertäter auftrittst. Das ist widerlich. Sie fände es bestimmt abscheulich.«
    »Nun klingst du wie die Grateful Dead«, frotzelte ich.
    Wieder lachte er leise und verächtlich, und mit düsterer Betroffenheit forderte er: »Lestat, du mußt dich einfach um sie kümmern - wenigstens für eine Weile.« Als ich nicht antwortete, fuhr er sanft, aber eindringlich fort:
    »Nur kurze Zeit, bis die Reporter sie nicht mehr belästigen, bis das Schlimmste vorbei ist. Bis sie wieder ganz und gar die alte Dora ist, bis sie zurückgefunden hat zu ihrem Leben. Denn noch hat sie ihr eigenes Leben; sie darf nicht um meinetwillen gekränkt werden, Lestat, nicht um meinetwillen. Das wäre nicht fair.«
    »Fair?«
    »Nenn mich bei meinem Namen. Sieh mich an.«
    Das tat ich, und es erfüllte mich mit heftigem Schmerz. Er sah erbärmlich aus. Ich war mir nicht sicher, ob ein menschliches Wesen so ausdrücklich Elend widerspiegeln konnte. Ich wußte es wirklich nicht.
    »Ich heiße Roger«, sagte er. Jetzt wirkte er noch jünger als vorhin, als ob sein Ich eine Reise zurück in der Zeit gemacht hätte oder als ob er wieder unschuldig wäre, so als ob die Toten, wenn sie sich denn schon unter uns bewegen wollen, das Recht hätten, sich ihrer einstigen Unschuld zu erinnern.
    »Ich weiß, wie du heißt«, antwortete ich. »Ich weiß alles über dich, Roger. Roger, das Gespenst. Und niemals hast du zugelassen, daß der Kapitän dich berührte. Er durfte dich anbeten, dich erziehen, dich einladen, dich beschenken, aber nie, nie hast du den Anstand besessen, auch nur einmal mit ihm ins Bett zu gehen.«
    Weil ich zusammen mit seinem Blut diese Bilder in mich aufgenommen hatte, sagte ich ihm diese Dinge, nicht aus Bosheit, sondern voller Verwunderung darüber, wie schlecht wir doch alle sind und wie verlogen.
    Er schwieg eine Weile.
    Kummer und Bitterkeit überwältigten mich, und ich erschrak zutiefst darüber, was ich ihm angetan hatte und was ich anderen angetan hatte und daß ich überhaupt je einer lebenden Kreatur Leid zugerügt hatte.
    Was war Doras Botschaft? Wie konnten wir je erlöst werden? Etwa durch das ewiggleiche Hohelied liebender Anbetung?
    Er beobachtete mich. Er wirkte jung, engagiert, ein großartiges Abbild des Lebens. Roger.
    »Richtig.« Er sprach sanft und geduldig. »Ich habe nicht mit dem Kapitän geschlafen, da hast du recht. Aber eigentlich hat er das auch nie wirklich gewollt. Weißt du, es war ganz anders, er war schon viel zu alt. Du weißt nicht, wie es wirklich war. Du müßtest meine Schuldgefühle gespürt haben. Und du weißt auch nicht, wie sehr ich später bereut habe, daß ich es nicht tat. Daß wir das nicht geteilt haben. Aber das hat mich nicht auf die schiefe Bahn gebracht. Das nicht. Ich habe ihn nicht betrogen oder enttäuscht, so wie du es dir vorstellst. Ich liebte, was er mich lehrte. Und er liebte mich. Vielleicht hat er sogar durch mich ein paar Jahre länger gelebt. Wynken de Wilde, den liebten wir beide. Es hätte anders enden müssen. Ich war bei dem Kapitän, als er starb. Ich habe sein Zimmer nicht ein Mal verlassen. Wenn die, die ich liebe, mich brauchen, bin ich da, dann kann man sich auf mich verlassen.«
    »Na klar, und bei Terry warst du auch, als sie starb, nicht wahr?« Das war brutal, aber ich hatte es ohne nachzudenken gesagt, weil ich ihr Gesicht wieder vor mir sah, wie er sie tötete. »Vergiß es«, bat ich ihn. »Es tut mir leid. Wer, in Gottes Namen, ist Wynken de Wilde?«
    Aber ich wartete gar nicht erst auf eine Antwort. Ich fühlte mich so hundsmiserabel. »Um Gottes willen«, sagte ich zu ihm, »du suchst mich heim, quälst mich hier. Dabei bin ich tief in meinem Herzen so ein verdammter Feigling! Ein Feigling, JE . Warum erwähnst du diesen merkwürdigen Namen? Nein, ich will es gar nicht wissen. Sag’s mir nicht - mir reicht es. Ich gehe. Meinetwegen kannst du in dieser Bar spuken

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