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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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über das, was sie da beschrieben hatte, nach, oder besser, ich stellte es mir bildlich vor. Sie hatte sich fest in sich verschlossen, ich empfing keine Bilder von ihr, aber ihr Tonfall hatte mir mühelos alles verraten. Ich kannte das Corona’s wie jeder, der auch die berüchtigten irischen Wohnblocks in der Magazine Street gekannt hatte. Auch über die kriminellen Typen von damals mit ihren spitzen italienischen Schuhen wußte ich Bescheid. Das Auge zertreten!
    »Sie haben einfach draufgetreten und es zerquetscht«, sagte Dora, als habe sie meine Gedanken gelesen. »So hat es mein Großvater immer erzählt: ›Man hätte es retten können, wenn sie nicht einfach so draufgetreten hätten mit diesen spitzen Schuhen.‹«
    Wir schwiegen beide.
    »Das beweist gar nichts«, sagte ich.
    »Es beweist, daß dein Freund - oder Feind - Geheimnisse kennt.«
    »Aber es ist kein Beweis dafür, daß er der Teufel ist, und warum sollte er ausgerechnet eine solche Geschichte wählen?«
    »Vielleicht war er dabei«, entgegnete sie mit einem bitteren Lächeln.
    Wir lachten beide leise.
    »Du hast gesagt, er sei der Teufel, doch er sei nicht böse«, wiederholte sie. Sie strahlte Überzeugungskraft und Vertrauen aus, so als habe sie alles voll im Griff. Mir schien, daß es die absolut richtige Entscheidung gewesen war, ihren Rat einzuholen. Sie betrachtete mich ruhig und forderte mich auf: »Erzähl mir, was dieser Teufel gemacht hat.«
    Ich erzählte ihr die ganze Geschichte. Natürlich mußte ich eingestehen, daß ich ihrem Vater beständig auf den Fersen gewesen war, ich konnte mich nicht erinnern, schon vorher darüber gesprochen zu haben, und daß der Teufel mit mir dasselbe gemacht hatte. So wie ich David und Armand das Geschehen ausführlich geschildert hatte, wiederholte ich jetzt alles für sie, und wie schon einmal zuvor endete ich mit den rätselhaften Worten: »Und eins sage ich dir: Was auch immer er ist, er hat einen rastlosen Geist und ein unersättliches Herz. Als ich beim ersten Mal diese Worte wählte, um ihn zu beschreiben, kamen sie wie aus dem Nichts über meine Lippen. Ich wußte nicht, aus welchen Abgründen meines Gedächtnisses sie aufgetaucht waren. Aber ich spürte intuitiv, daß sie wahr waren.«
    »Wiederhol sie noch einmal«, bat sie.
    »Sein Geist ist rastlos und sein Herz unersättlich.«
    Sie schwieg, wobei sie die Augen zusammenkniff und das Kinn auf ihre Hand stützte.
    »Lestat, ich bitte dich jetzt um etwas ziemlich Ungewöhnliches. Laß etwas zu essen kommen, oder besorg mir irgendwo eine Mahlzeit. Ich muß das alles erst mal überdenken.«
    Schon stand ich auf den Beinen. »Was willst du haben?« fragte ich.
    »Das ist mir gleich. Was Nahrhaftes. Ich habe seit gestern nichts mehr gegessen, und ich möchte nicht, daß meine Überlegungen durch dieses unfreiwillige Fasten beeinträchtigt werden. Geh und besorg das Essen. Ich möchte jetzt allein sein; ich will beten, nachdenken, hier zwischen den Sachen meines Vaters sein. Es besteht doch wohl nicht die Gefahr, daß dieser Dämon dich entgegen seinen Versprechungen schon jetzt holt?«
    »Ich weiß auch nur das, was ich dir gesagt habe, aber ich glaube nicht. Ich kümmere mich jetzt besser um das Essen.«
    Ich machte mich sofort auf den Weg, verließ das Gebäude wie ein Sterblicher und suchte eins dieser überfüllten Innenstadtrestaurants, wo ich eine komplette Mahlzeit zum Mitnehmen einpacken ließ. Außerdem kaufte ich einige Flaschen Mineralwasser einer bekannten Marke, denn speziell danach scheinen Sterbliche heutzutage gierig zu verlangen. Mit dem Paket im Arm nahm ich mir dann gebührend Zeit für den Rückweg.
    Erst als der Lift schon auf der richtigen Etage hielt, kam mir mein ungewöhnliches Verhalten zu Bewußtsein. Hier war ich, zweihundert Jahre alt, von Natur aus grausam und stolz, und ich hatte ein paar Botengänge für ein sterbliches Mädchen erledigt, nur weil sie mich - noch dazu verdammt deutlich - dazu aufgefordert hatte. Natürlich gab es mildernde Umstände! Immerhin hatte ich sie gekidnappt und sie Hunderte Kilometer weit verschleppt! Ich brauchte sie. Zur Hölle, ich liebte sie. Aber was mir dieser simple Umstand gezeigt hatte, war dies: Sie hatte tatsächlich die Fähigkeit, die wohl auch Heilige oft haben, nämlich sich bei anderen Gehorsam zu verschaffen. Ohne mit der Wimper zu zucken, war ich losgezogen, um ihr etwas zu essen zu besorgen. Ganz munter und höchstpersönlich, als erweise sie mir auch noch eine Gnade mit

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