Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
sie. Ihr Herz raste. »Hier sind wir, und du hast mir tatsächlich die Wahrheit gesagt.«
Ehe ich noch antworten konnte, löste sie sich hastig von mir und ging mit flottem Schritt an dem Engel vorbei in den vorderen, größeren Raum der Wohnung, von wo aus man die Türme von St. Patrick’s im Blickfeld hatte. Und überall standen diese sperrigen Pakete herum, durch deren Plastikhüllen man die Form eines Kreuzes oder eines Heiligen erahnen konnte. Wynkens Bücher lagen natürlich auf dem Tisch, aber ich wollte sie nicht gerade jetzt darauf aufmerksam machen.
Sie wandte sich zu mir um, und ich konnte geradezu fühlen, wie sie mich mit abschätzenden Blicken einer eingehenden Prüfung unterzog. Wenn jemand mich so anerkennend mustert, empfinde ich das dermaßen intensiv, daß ich zu der Ansicht gekommen bin, meine Eitelkeit müsse in jeder einzelnen meiner Zellen zutiefst verwurzelt sein.
Ich hörte sie eine paar Worte vor sich hin murmeln, doch da ich nichts mitbekam außer, daß es Latein zu sein schien, tauchte in meinen Gedanken auch nicht automatisch die Übersetzung auf.
»Was hast du gesagt?«
»Luzifer, Sohn des Lichtes«, flüsterte sie, während sie mich mit offenkundiger Bewunderung anstarrte. Dann ließ sie sich in einen ausladenden Ledersessel fallen, ihre Augen immer noch auf mich gerichtet.
»Nein, das bin ich nicht«, sagte ich, »ich bin wirklich nichts anderes als ein Vampir. Allerdings ist Luzifer derjenige, der hinter mir her ist.«
»Der Teufel?«
»Ja. Deswegen hör mir jetzt gut zu. Ich werde dir gleich alles erzählen, und du mußt mir einen Rat geben. Aber vorher« - ich sah mich um, ja, da war der Aktenschrank - »deine gesamte Erbschaft - du hast jetzt ein sauber und ordentlich versteuertes Vermögen, von dem du bisher nichts wußtest; da in den schwarzen Mappen ist alles erläutert. Dein Vater starb mit dem ausdrücklichen Wunsch auf den Lippen, daß du das alles für deine Kirche bekommen solltest. Wenn du es jetzt ablehnst, sei dir nicht so sicher, daß das wirklich Gottes Wille ist. Bedenke, dein Vater ist tot. Das Geld ist geläutert durch sein Blut.«
Glaubte ich das tatsächlich? Na ja, todsicher hatte Roger gewollt, daß ich ihr genau das erzählte.
»Roger hat verlangt, daß ich dir das sagen soll«, fügte ich hinzu und versuchte, meiner Stimme noch mehr Selbstsicherheit als sonst zu verleihen.
»Ich verstehe dich schon. Aber du sorgst dich um etwas, was jetzt ganz belanglos ist. Willst du nicht zu mir kommen? Ich möchte dich umarmen. Du fröstelst ja.«
»Ich fröstele!«
»Es ist warm hier drin, doch du scheinst das nicht zu spüren. Komm her.«
Ich kniete mich vor sie hin und zog sie unvermittelt in meine Arme, so wie ich es bei Armand getan hatte. Ich lehnte meine Stirn an die ihre, und obwohl sie sich kalt anfühlte, würde sie niemals eine solche Kälte ausströmen können wie ich; so eisig konnte kein Mensch sein. Die Winterkälte hatte ich förmlich in mich aufgesogen, als sei ich aus porösem Marmor - und vermutlich war ich das auch.
»Dora, Dora, Dora«, murmelte ich, »wie sehr er dich doch geliebt hat und wie sehr er wünschte, alles für dich in Ordnung bringen zu können.« Ihr Duft umfing mich ebenso heftig, wie ich ihm widerstehen mußte.
»Lestat, erkläre mir die Sache mit dem Teufel«, drängte sie mich sanft.
Ich ließ mich auf dem Teppich nieder, damit ich sie ansehen konnte. Sie kauerte auf dem Rand des Sessels. Unter dem schwarzen Mantel, der über ihren unbedeckten Knien nachlässig auseinanderfiel, zeigte sich ein Zipfelchen eines goldfarbenen Schals. Ihr Gesicht war bleich, aber auf eine Art belebt, die sie strahlend und ein wenig wie verzaubert aussehen ließ, als sei sie genausowenig menschlich wie ich.
»Nicht einmal dein Vater hat deine Schönheit beschreiben können«, sagte ich. »Tempeljungfrau, Waldnymphe.«
»Das hat mein Vater gesagt?«
»Genau das. Aber der Teufel, ah, der Teufel meinte, ich soll dich etwas fragen, und zwar nach der Wahrheit über Onkel Mickeys Auge!« Gerade war es mir wieder eingefallen. Ich hatte vergessen, David und Armand davon zu erzählen, aber war das jetzt noch von Bedeutung?
Sie war überrascht, aber auch beeindruckt. Sie ließ sich in den Sessel zurücksinken: »Der Teufel hat genau diese Worte gewählt?«
»Ich sollte sie als ein kleines Präsent betrachten. Er will, daß ich ihn unterstütze, und behauptet, er sei nicht schlecht und daß Gott sein Widersacher sei - das werde ich dir noch
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