Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
reinen Herzens als die in Cluny«, sagte er. »Wir rühren unser Kloster streng und in heiliger Ordnung, und wir jagen und töten, damit der Garten unseres HERRN durch das Tal der Tränen Vollkommenheit erlangt.« Er macht eine Pause und rühr dann, noch sanfter und mit noch größerem Staunen fort: »Wir sind wie die Bienen mit ihrem Stachel und die Ratten, die das Korn stehlen. Wir sind wie der Schwarze Tod, der kommt und jeden holt, ob jung oder alt, schön oder hässlich, damit die Menschen angesichts der Macht Gottes erzittern.«
Er sah mich an. Die inständige Bitte um Verstehen lag in seinem Blick. »Kathedralen erheben sich aus dem Staub, um die Menschen das Staunen zu lehren. Und in die Steine meißeln die Menschen den Tanz der Toten, um zu zeigen, dass das Leben nur kurz währt. In dem Heer der Kutten tragenden Skelette, das auf tausend Torbögen zu sehen ist, tragen wir die Sense. Wir schreiten hinter dem Tod her, dessen hässliches Antlitz aus den Seiten unzähliger Gebetbücher schaut, die Arm und Reich gleichermaßen in ihren Händen halten.« Seine Augen waren weit aufgerissen, verträumt. Er sah sich in der grimmigen überkuppelten Zelle um, in der wir saßen. In seinen schwarzen Pupillen spiegelten sich die Kerzen wider. Einen Moment lang schloss er die Augen, und als er sie wieder aufschlug, leuchteten sie heller, klarer.
»Dein Herr wusste das alles«, sagte er bedauernd. »Er wusste es. Aber er stammte aus einer heidnischen Zeit, verstockt und zornig war er und verweigerte sich der Gnade Gottes. In dir sah er sie, denn deine Seele ist rein. Du bist jung und verletzlich und offen für das Licht der Finsternis, wie die Königin der Nacht, die erst im Dunkeln ihre Blüten öffnet. Jetzt hasst du uns, aber du wirst noch verstehen lernen.«
»Ich weiß nicht, ob ich je wieder etwas verstehen werde. Ich friere und fühle mich ganz klein, ich kann im Moment nichts fassen, weder Gefühle noch Sehnsüchte noch Hass. Ich müsste dich hassen, aber es ist nicht so. Ich bin leer, ich möchte sterben.«
»Aber wann du stirbst, liegt in Gottes Hand, Amadeo, nicht in deiner«, sagte er. Er fixierte mich durchdringend, und ich wusste, dass ich meine Erinnerungen nicht länger vor ihm verbergen konnte - die Mönche von Kiew, die langsam in ihren Erdzellen verhungerten und sagten, dass sie Nahrung zu sich nehmen müssten, da es in Gottes Hand lag, wann sie sterben sollten.
Ich mühte mich, diese Gedanken verborgen zu halten, ich verschloss diese Vorstellungen fest in mir. Ich dachte an gar nichts. Nur ein Wort lag mir auf der Zunge: Entsetzen. Und dann der Gedanke, dass ich ein Tor gewesen war, bevor dies geschah.
Jemand betrat den Raum. Ein weiblicher Vampir. Sie trat durch eine hölzerne Tür ein und schloss sie sorgsam hinter sich, wie eine gute Nonne darauf bedacht, keinen unnötigen Lärm zu machen. Sie trat zu dem Schwarzhaarigen und stellte sich hinter ihn. Ihr volles, graues Haar war ebenso verfilzt und wirr wie seins, und auch bei ihr lag es wie ein schwerer, wunderschöner Schleier um ihre Schultern. Ihre Kleider, aus uralten Zeiten stammend, waren nur noch Lumpen. Wie die Frauen längst vergangener Zeiten trug sie als schmückendes Beiwerk tief auf den Hüften einen Gürtel, der die schmale Taille und den Schwung der Hüften betonte, ein höfisches Gewand, wie man es auf reich verzierten Sarkophagen aus jener Zeit eingemeißelt hatte. Ihre Augen waren groß, genau wie seine, als wollten sie jeden kostbaren Lichtpartikel, der im trüben Dunkel schien, einfangen. Ihr Mund war stark und voll, und die zarten Kinn- und Wangenknochen hatten trotz der silbergrauen Staubschicht, die darüber lag, einen feinen Glanz. Hals und Busen waren so gut wie unbedeckt. »Wird er sich uns zugesellen?«, fragte sie. Ihre Stimme war so lieblich, dass es schien, als habe sie mich damit berührt. »Ich habe für ihn gebetet. Ich hörte sein Weinen, obwohl kein Laut nach außen drang.«
Ich wandte den Blick von ihr ab. Wie konnte ich sie, meinen Feind, der meine liebsten Freunde ermordet hatte, nicht abscheulich finden? »Ja«, sagte Santino; das war der Dunkelhaarige. »Er wird zu uns gehören, und er könnte sogar ein Anführer werden. In ihm wohnt eine solche Kraft. Sieh nur, er hat Alfrede niedergemacht. Ach, es war fantastisch, das mit anzusehen. Er ging mit einer solchen Wut zu Werke, und sein Gesicht hatte den grimmigen Ausdruck eines Kindes.«
Sie warf einen Blick hinter mich, auf das, was von dem einstigen Vampir
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