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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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übrig geblieben war - ich wusste selbst nicht, was, und ich sah mich auch nicht danach um.
    Eine tiefe, herbe Sorge machte ihre Züge weich. Sie musste einmal - als Lebende - sehr schön gewesen sein, und wie schön wäre sie noch, wenn sie nur den Staub und Schmutz abgewaschen hätte. Ihre Augen richteten sich in jäher Anklage auf mich, nahmen dann jedoch einen milden Ausdruck an.
    »Eitle Gedanken, mein Kind«, sagte sie. »Ich lebe nicht für den Blick in den Spiegel, wie dein einstiger Herr. Ich brauche weder Samt noch Seide, um meinem HERRN zu dienen. Ah, Santino, schau ihn an, er ist noch so weich, wie neugeboren.« Sie meinte tatsächlich mich. »In längst vergangenen Zeiten hätte ich vielleicht einer solchen Schönheit zu Ehren Verse verfasst, dass sie sich uns zugesellen möge, um Gottes rußbekränzte Herde zu verschönern. Er ist eine Lilie in der Finsternis, ein Feenkind, im Mondlicht der Magd in die Wiege gelegt, die Welt mit seinem mädchenhaften Blick und männlichen Geflüster zu bannen.«
    Ihre Schmeichelei machte mich wütend, doch es schien bereits unerträglich, in dieser Hölle hier auf die Schönheit ihrer Stimme, auf diesen vollen, lieblichen Klang zu verzichten. Ich achtete einfach nicht auf die Worte, die sie sagte. Und als ich in ihr weißes Gesicht schaute, in der viele Adern schon wie versteinert hervortraten, da war mir klar, dass sie sowieso viel zu alt war, als dass eine wütende, gewalttätige Attacke meinerseits ihr etwas hätte anhaben können. Und doch, töten, ja! Köpfe von Körpern reißen, ja! Und mit Kerzen durchbohren, ja! Mit zusammengebissenen Zähnen dachte ich an solche Dinge, daran, wie ich ihn - ja, den da! - mir vom Halse schaffen würde, denn er war noch nicht so alt wie sie, bei weitem nicht, nicht einmal halb so alt mit seinem olivfarbenen Teint. Aber diese zwanghafte Vorstellung erstarb in meinem Geist wie Unkraut, von eisigem Wind hingemäht, der fest gefrorene Wind meiner Willenskraft, die in mir starb.
    Ach, aber schön waren sie beide.
    »Du wirst nicht aller Schönheit entsagen«, wandte sie sich gütig an mich, da sie wohl meine Gedanken aufgefangen hatte, trotz aller meiner Vorkehrungen, sie zu verhüllen. »Du wirst eine andere Form der Schönheit sehen - eine herbe, ständig wechselnde Schönheit -, wenn du tötest und die wunderbare materielle Struktur, ausgesaugt und leer, sich in ein flammendes Netz verwandelt, und ersterbende Ströme sich über dich senken wie Trauerschleier, die deine Sicht verdunkeln und dich zum Lehrer jener armen Seelen machen, die ihrer Auflösung oder der Herrlichkeit entgegeneilen. Auch das ist Schönheit. Auf ewig wirst du tröstliche Schönheit in den Sternen finden. Und auf der Erde, ja auf der Erde selbst wirst du tausend Abstufungen der Finsternis erkennen. Das wird von nun an Schönheit für dich sein. Du schwörst nur den grellen Farben der Menschen ab und dem herausfordernden Licht der Reichen und der Eitlen.«
    »Ich schwöre gar nichts ab!«, sagte ich.
    Sie lächelte, und ihre Züge wurden von einer unwiderstehlichen Wärme erhellt. Aus ihrem langem, weißen Haarwust kräuselte sich hier und da ein Löckchen und glänzte im glühenden Geflacker der Kerzen.
    Sie blickte Santino an. »Wie gut er versteht, was wir sagen«, sagte sie, »und doch scheint er ein unartiger Knabe zu sein, der in seiner Unwissenheit nur Hohn für alles hat.«
    »Er versteht, er versteht«, antwortete der andere mit erstaunlicher Bitterkeit. Er fütterte seine Ratten. Er sah sie und mich an. Er schien zu grübeln, schien sogar die alte gregorianische Hymne wieder zu summen.
    Ich hörte andere im Dunkel. Und weit weg wurden immer noch die Trommeln geschlagen, das war nicht auszuhalten. Ich hob den Blick zur Decke. Die blinden, sprachlosen Schädel schauten auf alles mit grenzenloser Geduld herab.
    Ich betrachtete die beiden, den sitzenden Santino, der vor sich hin grübelte oder in Gedanken verloren war, und hinter ihm, ihn überragend, die statuenhafte Gestalt in ihrem in Fetzen hängenden Aufzug, das graue Haar in der Mitte gescheitelt, das Gesicht mit Staub überzogen, als sei er ihr Schmuck.
    »Jene, die bewahrt werden müssen, Kind, was waren sie?«, wollte sie plötzlich wissen.
    Santino hob eine Hand und machte eine müde Geste.
    »Allesandra, er weiß nichts davon. Sei gewiss. Marius war zu schlau, ihm das zu sagen. Und wenn schon, dieser alten Legende jagen wir schon unzählige Jahre hinterher. Jene, die bewahrt werden müssen! Nun,

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