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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Mit wie viel Liebe sie mich beide ansahen!
    »Ach, du armes Kind«, seufzte Alessandra, »dies ist erst der Anfang deiner Leiden. Aber warum musst du um deines Stolzes willen leiden und nicht für Gott?«
    »Ich verfluche Euch!«
    Santino schnippte mit den Fingern. Nur eine kleine Geste, doch aus den Schatten der Lehmwände, durch Tore wie versteckte stumme Mäuler, kamen seine Diener, verhüllt, in Kutten wie zuvor. Sie hoben mich auf und umklammerten meine Glieder, obwohl ich mich nicht wehrte. Dann schleppten sie mich in eine vorn mit Eisengittern verschlossene Erdzelle, und als ich versuchte, mich herauszugraben, stießen meine krallenden Finger auf eisendurchsetztes Gestein, so dass ich nicht tiefer kam.
    Ich ließ mich zu Boden sinken und weinte. Ich weinte um meinen Herrn. Ich kümmerte mich nicht darum, ob es jemand hörte oder über mich spottete. Es kümmerte mich einfach nicht. Nur was ich verloren hatte, war mir noch bewusst, und durch diesen Verlust erkannte ich die Größe meiner Liebe, und darin wiederum fand ich den Glanz, der ihr innegewohnt hatte. Ich weinte und weinte, und schlug die Finger in die nackte Erde und bohrte und grub darin, bis ich endlich reglos niedersank, und nur noch meine stummen Tränen flossen. Allesandra hielt mit den Händen die Gitterstäbe umklammert und flüsterte: »Armes Kind, ich werde bei dir sein, jederzeit. Du musst nur nach mir rufen.«
    »Und warum? Warum?«, schrie ich, so dass meine Stimme von den Wänden hallte. »Los, antworte!«
    »Die Dämonen in der tiefsten Hölle, empfinden nicht selbst sie Liebe füreinander?«, sagte sie.
    Eine Stunde verging. Die Nacht neigte sich dem Ende zu. Ich hatte Durst. Brennenden Durst. Sie wusste es. Ich hockte, auf die Fersen gestützt, am Boden, zusammengekauert, mit hängendem Kopf. Ich wollte lieber sterben, als je wieder Blut zu trinken. Aber in meiner Vorstellung sah ich nur das, ich konnte an nichts anderes denken, ich wollte nur das eine. Blut.
    Nach der ersten Nacht dachte ich, dieser Durst würde mich töten. Nach der zweiten dachte ich, ich würde unter Schreien vergehen. Nach der dritten Nacht träumte ich weinend und verzweifelt davon und leckte mir die blutigen Tränen von den Fingerspitzen. Nach sechs solcher Nächte, als ich dachte, ich könne den Durst nicht länger ertragen, brachten sie mir ein zappelndes Opfer. Noch ehe ich das Licht ihrer Fackeln sah, roch ich durch den ganzen langen Gang das Blut.
    Ein fülliger, stinkender, kräftiger Junge wurde in meine Zelle gezerrt. Er trat und fluchte und sabberte und knurrte wie ein Wahnsinniger, er kreischte angesichts der Fackel, mit der sie ihn bedrohten, um ihn vorwärts zu treiben. Auf die Füße zu kommen war beinahe schon zu anstrengend für mich, und dann fiel ich über dieses saftige, heiße Fleisch her, riss ihm unter Lachen und Weinen die Kehle auf, bis mein Mund bis zum Ersticken mit Blut gefüllt war.
    Er stürzte zu Boden, unter stammelndem Gebrüll, und ich über ihn. Das Blut sprudelte aus der Ader über meine Lippen und meine dürren Finger. Meine Güte, wie Knochen waren sie nur noch, meine Finger! Ich trank und trank, ohne abzusetzen, bis ich nicht mehr konnte und ich keinen Schmerz mehr fühlte, keine Verzweiflung, alles vergangen vor der reinen Befriedigung des Hungers, dem nackten, gierigen, verhassten, eigensüchtigen Herunterschlingen des segensreichen Blutes. Sie überließen mich dieser maßlosen, unmanierlichen Völlerei. Erst als ich niedersank, klärte sich mein Blick langsam. Ich sah endlich wieder das Funkeln der kleinen Metallpünktchen im Gestein, das die Wände wie einen Sternenhimmel schimmern ließ. Ich blickte mich um und stellte fest, dass das Opfer, das ich leer getrunken hatte - Riccardo war, mein liebster Riccardo, mein geistreicher, gutherziger Riccardo. Nackt, elendig schmutzverkrustet, gemästet nur für diesen Zweck, hatten sie ihn die ganze Zeit über in irgendeiner stinkigen Erdzelle gefangen gehalten.
    Ich schrie.
    Ich hämmerte mit dem Kopf, mit den Fäusten gegen das Gitter. Meine weißgesichtigen Wächter eilten heran, prallten aber angsterfüllt von den Stäben zurück und musterten mich über den finsteren Gang hinweg misstrauisch. Weinend sank ich auf die Knie. Hastig zog ich den Leichnam an mich. Dann biss ich mir in die Zunge und spie das Blut auf sein teigiges, lebloses Gesicht. »Trink, Riccardo! Riccardo!« Aber er war tot, leer gesaugt, und die ändern waren fort, hatten ihn hier bei mir zurückgelassen,

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