Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Amsterdam.
Dein Zimmer im dortigen Mutterhaus steht schon bereit, und wir erwarten, dass du diese Instruktionen befolgst.
Sieh bitte ein, dass wir, wie immer, auch aus deinen letzten, schlecht beratenen Unternehmungen nur gemeinsam mit dir lernen wollen, aber es darf keine Fehleinschätzung bezüglich unserer Ermahnung geben. Du musst die Beziehungen zu denen, die niemals unsere Billigung erlangen werden, sofort abbrechen und sofort zu uns kommen.«
Merrick legte den Brief in ihren Schoß und sagte: »Er trägt das Siegel der Ältesten.«
Der Siegellackabdruck war nicht zu übersehen. »Was soll es uns kümmern, dass ihr Siegel darauf ist?«, fragte Lestat. »Oder auch das Siegel von weiß der Kuckuck wem? Sie können dich nicht zwingen, nach Amsterdam zu fahren. Wieso denkst du überhaupt daran?«
»Hab Geduld mit mir«, entgegnete sie schnell. »Ich denke nicht daran. Ich sage nur, dass wir offensichtlich beobachtet worden sind.« Lestat schüttelte den Kopf. »Wir sind schon immer sorgfältig beobachtet worden. Ich laufe schon seit über einem Jahrzehnt als mein eigener Romanheld getarnt herum. Was kümmert es mich, ob ich beobachtet werde? Ich trotze jedem, der mir etwas antun will. Das war schon immer meine Art. Ich habe mich selten … selten … geirrt.«
»Aber Lestat!« Louis beugte sich vor und sah ihm fest in die Augen. »Das bedeutet, dass die Talamasca uns - David und mich - ›gesichtet‹ hat, wie sie es nennen, und zwar auf Merricks Grundstück. Und das ist gefährlich! Gefährlich, weil es uns Feinde unter denen machen kann, die wahrhaft an das glauben, was wir sind.«
»Sie glauben es nicht«, widersprach Lestat. »Keiner glaubt es. Dieser Unglaube ist stets unser Schutz. Niemand glaubt an das, was wir sind, außer uns selbst.«
»Du hast Unrecht«, sagte Merrick, ehe ich mich zu Wort melden konnte. »Sie glauben wirklich an dich -«
»Und deshalb ›wachen sie und sind immer da‹«, spottete Lestat über das alte Motto des Ordens, eben jenes Motto, das auf den Visitenkarten gedruckt stand, die ich einst mit mir führte, als ich noch als normaler Mann über die Erde schritt. »Trotzdem«, warf ich schnell ein, »sollten wir erst einmal hier verschwinden. Wir können nicht mehr in Merricks Haus zurück, keiner von uns. Und hier in der Rue Royale können wir auch nicht bleiben.«
»Ich werde nicht nachgeben«, sagte Lestat. »Die werden mich in dieser Stadt nicht herumscheuchen, dies ist meine Stadt. Tagsüber schlafen wir in unseren Verstecken - zumindest ihr drei -, aber die Nacht und die Stadt, die gehören uns.«
»Wieso gehört die Stadt uns?«, fragte Louis mit beinahe rührender Unschuld.
Lestat reagierte mit einer verächtlichen Geste. »Seit zweihundert Jahren lebe ich hier«, sagte er mit leiser, leidenschaftlicher Stimme. »Ich werde nicht wegen eines Ordens von Gelehrten fortgehen. Ich habe dich im Mutterhaus in London besucht, David - wie viele Jahre ist das her? Ich hatte nie Angst vor dir. Ich habe dich mit meinen Fragen herausgefordert. Ich habe verlangt, dass du in euren voluminösen Archiven einen Extraordner für mich anlegst.«
»Ja, Lestat, aber ich glaube, dass sich die Dinge inzwischen geändert haben.« Ich schaute Merrick viel sagend an. »Hast du uns auch alles gesagt, Liebling?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete sie, sah aber starr vor sich hin, als sei sie noch mit diesem speziellen Problem beschäftigt. »Ich habe euch alles gesagt, aber wisst ihr, der Brief wurde schon vor einigen Tagen geschrieben. Und inzwischen ist alles anders.« Sie hob schließlich den Blick zu mir. »Wenn wir beobachtet werden und den Verdacht habe ich -, dann wissen sie, dass alles sehr anders ist.« Lestat stand auf.
»Ich fürchte die Talamasca nicht«, erklärte er nachdrücklich. »Ich fürchte niemanden. Wenn die Talamasca es auf mich abgesehen hätte, hätte sie sich mir schon während all der Jahre, die ich schlafend in dem staubigen Konvent verbracht habe, nähern können.«
»Aber sieh mal, das ist es ja gerade«, sagte Merrick. »Sie hatten es nicht auf dich abgesehen. Sie wollten dich beobachten. Sie wollten in der Nähe sein, wollten wie immer Wissen aus erster Hand erlangen, das sonst niemand hat, aber sie wollten dich nicht anrühren. Sie wollten nicht, dass sich deine beträchtliche Macht gegen sie richtet.«
»Ah, das hast du fein ausgedrückt«, sagte er. »Das gefällt mir. Meine beträchtliche Macht … Sie täten gut daran, das zu bedenken.«
»Bitte«,
Weitere Kostenlose Bücher