Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
nun Bluttrinker in der ganzen Welt ihre Geschütze auf ihn richteten.
Das waren vor allem die jungen Vampire, denen ich nie Beachtung geschenkt hatte, und erstaunt hörte ich nun, wie sie mit der Gabe des Geistes ihre Stimmen durch die Luft sandten und emsig nach anderen Vampiren suchten.
Ich dachte mir jedoch nichts dabei. Ich dachte nicht im Traum daran, dass seine Musik in irgendeiner Form die Welt der Sterblichen – oder auch unsere Welt – verändern könnte. Zumindest nicht bis zu der Nacht, als ich in den unterirdischen Schrein kam und meinen König, Enkil, als leere Hülle vorfand; hohl, ohne einen Tropfen Blut, saß er so gefährlich unsicher auf seinem Thron, dass er, als ich ihn berührte, auf den Marmorboden fiel und sein schwarzes geflochtenes Haar in winzige Splitter zerbröckelte. Erschüttert starrte ich auf dieses Bild! Wer konnte das gemacht haben, konnte ihm jeden Tropfen Blut ausgesaugt haben? Wer konnte ihn vernichtet haben?
Und wo war meine Königin? Hatte sie das gleiche Schicksal ereilt? War die gesamte Sage über Jene, die bewahrt werden müssen von Anfang an ein großer Betrug?
Doch ich wusste, sie war nicht gelogen, und ich wusste auch, dass es nur ein einziges Wesen gab, das Enkil ein solches Geschick bereiten konnte, das einzige Wesen auf der ganzen Welt, das genug Raffinesse besaß, sein Vertrauen genoss, das Wissen hatte und die Macht, es zu nutzen.
Blitzartig wandte ich mich von der zerstörten Hülle Enkils ab, nur um festzustellen, dass sie keine zehn Zentimeter von mir entfernt stand. Ihre schwarzen Augen waren zusammengekniffen und von geradezu unheimlichem Leben erfüllt. Ihre Kleidung bestand noch immer aus den königlichen Gewändern, die ich ihr angezogen hatte. Und auf ihren roten Lippen lag ein spöttisches Lächeln. Plötzlich lachte sie böse auf.
Für dieses Lachen hasste ich sie. Ich fürchtete sie und hasste sie, weil sie über mich lachte. Alle meine Besitzerinstinkte kamen zutage – sie war mein, und nun wagte sie, sich gegen mich zu stellen! Wo war die Lieblichkeit, von der ich geträumt hatte? Ich befand mich in einem Albtraum!
»Mein lieber Diener«, sagte sie, »du hattest nie die Macht, mich aufzuhalten!«
Es war unvorstellbar, dass dieses Geschöpf, das ich durch die Zeitläufte bewahrt und gehütet hatte, es wagte, sich gegen mich zu stellen! Unvorstellbar, dass die, die ich unsagbar verehrt hatte, mich nun verhöhnte!
Hastige, armselige Worte sprudelten über meine Lippen, während ich zu verstehen suchte, was eigentlich vorging: »Aber was willst du? Was hast du vor?«
Es war ein Wunder, dass sie sich überhaupt zu einer, wenn auch spöttischen, Antwort herabließ. Doch die verlor sich im Geräusch des implodierenden Fernsehers, im Schrillen von berstendem Metall und im dumpfen Klirren herabfallender Eisblöcke. Mit unberechenbarer Kraft erhob sich Akasha aus den Tiefen des Hauses, dessen Mauern und Decken zusammen mit dem sich darüber türmenden Eis auf mich niederstürzten. Ich war darunter begraben und konnte nur um Hilfe rufen.
Die Herrschaft der Königin der Verdammten hatte begonnen, auch wenn sie sich nie selbst so bezeichnet hatte. Du sahst sie auf ihrem Weg durch die Welt. Du sahst sie, als sie die Bluttrinker tötete, die sich ihrem Vorhaben nicht anschließen wollten. Sahst du sie, als sie sich Lestat als Liebhaber erkor? Sahst du sie, als sie die Sterblichen mit billigen Beweisen ihrer nicht mehr zeitgemäßen Macht zu schrecken versuchte? Und während der ganzen Zeit lag ich zerschmettert unter dem Eis – warum ich verschont worden war, konnte ich mir nicht vorstellen – und sandte meine Warnungen, dass Gefahr drohte, an Lestat und all die anderen aus. Und flehte außerdem jedes Kind der Jahrtausende an, mich aus diesem Abgrund zu retten, in dem ich begraben war. Noch während ich meine mächtige Stimme aussandte, begann mein Körper zu heilen, und ich konnte das Eis ringsum langsam verschieben. Schließlich kamen mir zwei Bluttrinker zu Hilfe. Das Bild des einen sah ich im Geist des anderen, und ich hielt es für unmöglich, aber wen ich da in vollem Glanze sah, das war niemand anderes als meine Pandora. Mit ihrer Hilfe brach ich durch das Eis und kletterte nach oben, bis ich – endlich frei – unter dem arktischen Himmel stand. Ich ergriff Pandora bei der Hand, zog sie in meine Arme und weigerte mich einen Moment, an irgendetwas anderes zu denken, nicht einmal an meine rasende Königin und ihr todbringendes Wüten. Es gab
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