Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
dem alten Orden in Paris zum Leiter des Théâtre des Vampires aufgestiegen war, konnte mich von meiner Insel fortlocken. Ich hatte Amadeo zwar mehr als einmal nachspioniert, hatte jedoch gesehen, dass in ihm immer noch die gleiche herzzerreißende Trauer wie schon einst in Venedig wohnte. Ehe ich ihn aufs Neue umschmeichelte, blieb ich lieber einsam. Doch als ich Lestats Ruf vernahm, spürte ich an ihm eine kraftvolle, ungebundene Intelligenz und eilte sofort zu seiner Rettung, denn er hatte sich von Weltschmerz geplagt in den Untergrund zurückgezogen, das erste Mal für ihn als Bluttrinker. Ich brachte ihn in mein Haus und verriet ihm sogar dessen Lage. Ich empfand eine tiefe, überströmende Liebe für Lestat und nahm ihn sofort, vielleicht vorschnell, mit in den Schrein. Ich stand wie angewurzelt, als er sich Der Mutter näherte, und sah staunend zu, wie er sie küsste. Ich weiß nicht, ob es seine Kühnheit war oder ihr Stillhalten, was mich so in Bann schlug. Aber sei gewiss, dass ich zum Eingreifen bereit war, falls Enkil versucht hätte, ihm etwas anzutun. Als Lestat schließlich zurücktrat und mir sagte, dass Die Mutter ihm ihren Namen anvertraut hatte, war ich verblüfft, und ein Anfall von Eifersucht suchte mich heim.
Aber ich verleugnete dieses Gefühl. Ich hatte mich in Lestat verliebt und sagte mir, dass dieses scheinbare Wunder nur etwas Gutes bedeuten konnte, dass dieser junge Bluttrinker einen Lebensfunken in Den Eltern entfachen könnte.
Und so nahm ich ihn mit in meinen Salon, wie ich es dir schon beschrieb – und wie er es selbst beschreibt –, und erzählte ihm ausführlich, wie ich zum Vampir wurde. Ich erzählte ihm von Der Mutter und Dem Vater und von ihrem endlosen Schweigen. Wir sprachen Stunden miteinander, und er schien das Zeug zu einem guten Schüler zu haben. Ich muss sogar sagen, das ich mich in meinem ganzen Leben nie jemandem näher gefühlt habe als Lestat. Nicht einmal Bianca. Lestat war in seinen zehn Jahren als Vampir weit herumgekommen, hatte die Literatur vieler Nationen förmlich verschlungen und stürzte sich mit einer Energie in unsere Gespräche, wie ich es nicht einmal bei Pandora erlebt hatte. Aber in der Nacht darauf, als ich ausgegangen war, um mich einigen der zahlreichen Angelegenheiten der Inselbevölkerung zu widmen, ging Lestat hinunter in den Schrein. Er nahm eine Violine mit, die einst seinem Freund, einem Bluttrinker namens Nicolas, gehört hatte. Und indem er nachahmte, was er bei seinem Freund beobachtet hatte, spielte er Den Eltern voller Leidenschaft auf der Geige vor.
Ich konnte zuerst die Musik über die kurze Entfernung hören und dann einen hohen, schrillen Ton, wie ihn kein Sterblicher hätte hervorbringen können, einen Ton, wie ihn vielleicht die Sirenen hätten singen können, und während ich mich noch fragte, was das sein könnte, erstarb er.
Ich versuchte, die Kluft zu meinem Haus zu überbrücken, und was ich in dem unverhüllten Geist Lestats las, strafte meinen Glauben Lügen. Akasha hatte sich von ihrem Thron erhoben und hielt Lestat in ihren Armen, und wie Lestat von Akasha trank, so trank sie von ihm.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und raste zum Haus zurück und hinunter in den Schrein. Doch noch unterwegs veränderte sich das Bild unheilvoll. Enkil war von seinem Thron aufgestanden und hatte Lestat aus den Armen Der Mutter gerissen, die nun in einer Lautstärke nach Lestat rief, die jeden Sterblichen auf der Stelle hätte ertauben lassen. Als ich die Stufen zum Schrein hinunterhastete, stellte ich fest, dass die Türen vor mir absichtlich verschlossen worden waren. Ich hämmerte mit aller Kraft dagegen. Und die ganze Zeit über sah ich durch Lestats Augen, dass er von Enkil zu Boden gezwungen worden war, der ihn, ungeachtet der Schreie Akashas, zerschmettern wollte. Oh, und wie flehend waren diese Schreie, trotz der ungeheuren Lautstärke. Verzweifelt rief ich: »Enkil, wenn du ihn tötest, werde ich dir Akasha nehmen. Für immer, und sie wird zustimmen. Mein König, lass ihr ihren Willen!«
Ich konnte selbst kaum glauben, was ich da gerufen hatte, aber das war das Erste, was mir eingefallen war, und Zeit, die Worte lange zu erwägen, war nicht. Sofort öffneten sich die Türen zum Schrein, und es bot sich mir ein unglaublicher Anblick – zwei aufrechte kalkweiße Gestalten in ägyptischer Tracht, von Akashas Mund tropfte noch das Blut, und Enkil stand zwar, doch als wäre er in tiefem Schlummer versunken. Entsetzt sah ich, dass
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