Chronik der Vampire 08 - Blut und Gold
keine Worte, keine Schwüre, keine Verweigerung. Ich hielt Pandora in Liebe umschlungen, und sie wusste es. Als ich aufblickte und meine Sicht sich klärte, als Schmerz und Liebe und Furcht sie nicht mehr vernebelte, erkannte ich, dass der andere Bluttrinker, der mein Rufen gehört und Pandora in den Norden begleitet hatte, Santino war. Einen Augenblick tobte ein solcher Hass in mir, dass ich ihn sofort töten wollte.
»Nein«, sagte Pandora, »Marius, nicht! Wir werden jetzt alle gebraucht. Und er ist mitgekommen, weil er dir etwas schuldet, oder was glaubst du?«
Santino stand in seinem feinen schwarzen Anzug im Schnee, der Wind peitschte sein schwarzes Haar. Er wurde von Furcht verzehrt, das sah ich, aber er würde es nicht zugeben. »Das genügt nicht, um alte Schulden zu begleichen. Aber Pandora hat Recht, wir werden alle gebraucht, und aus diesem Grund verschone ich dich.«
Dann sah ich meine geliebte Pandora an und sagte: »Im Moment sind sie dabei, sich zu einem Rat zusammenzufinden. Sie treffen sich in einem großen Haus, einem wahren Glaspalast, in einem Wald an der Küste. Wir gehen am besten gemeinsam dorthin.« Was dort geschah, weißt du. Inmitten der Rotholzbäume versammelten wir uns um den großen Tisch – wie ein neuer hitziger Stamm der Gläubigen des Waldes –, und als die Königin uns ihren Plan vortrug, sich die Erde zu unterwerfen, versuchten wir alle, ihr Vernunft beizubringen. Sie träumte davon, für die Menschheit die Himmelskönigin zu sein. Sie wollte aus der Welt einen »Garten« voller friedliebender, zartbesaiteter Frauen machen und zu diesem Zweck alle männlichen Kinder töten. Es war ein undenkbarer, ein entsetzlicher Plan. Deine rothaarige Maharet mühte sich am eifrigsten, sie von ihrem angestrebten Ziel abzubringen, und verurteilte sie, weil sie in den Lauf der Geschichte eingreifen wollte.
Ich selbst, der ich bitter an die lieblichen Gärten zurückdachte, die ich gesehen hatte, wenn ich ihr Blut trank, setzte mich immer wieder ihrer todbringenden Macht aus, flehte sie an, dass sie sich nicht in das Schicksal der Welt einmischen möge. Oh, es verursachte mir eisige Schauer, zu sehen, wie kalt diese lebende Statue zu mir sprach, die gleichzeitig so willensstark und so niederträchtig war. Ihre Pläne zeugten von grandioser Bösartigkeit – unschuldige Kinder zu morden und Frauen in abergläubischem Götzendienst zu vereinen.
Was gab uns die Kraft, sie zu bekämpfen? Ich weiß es nicht, sieht man davon ab, dass uns gar nichts anderes übrig blieb. Und die ganze Zeit über, während sie uns immer wieder mit dem Tod drohte, dachte ich: Ich hätte dies hier verhindern können. Ich hätte sie vernichten können, hätte ihr und uns allen ein Ende bereiten können, dann wäre das hier nie geschehen. Sie wird uns alle vernichten und ihre Pläne weiter verfolgen. Und wer kann sie dann davon abhalten? Einmal geriet sie urplötzlich über meine Worte in solche Wut, dass sie mich mit einem Schlag ihres Armes rücklings zu Boden schleuderte. Ausgerechnet Santino kam mir zu Hilfe. Ich hasste ihn dafür, aber eigentlich war keine Zeit, ihn oder sonst jemanden zu hassen.
Zuletzt verdammte sie uns alle – da wir nicht auf ihrer Seite waren, würde sie uns vernichten, einen nach dem anderen. Sie würde mit Lestat anfangen, denn er hatte sie am schwersten beleidigt. Er hatte sich ihr widersetzt. Tapfer hatte er sich auf unsere Seite geschlagen und versucht, sie mit seinen guten Argumenten zu überzeugen.
In diesem furchtbaren Moment erhoben sich die Ältesten, die beiden aus der Ersten Brut, die noch zu Akashas Lebzeiten zu Bluttrinkern gemacht worden waren, und die Kinder der Jahrtausende, wie Pandora und Mael und ich selbst. Doch ehe es zu dem tödlichen Kampf kam, erschien eine andere in unserer Mitte; mit lauten Schritten kam sie die eisernen Stufen zu unserem Versammlungsort hinauf, bis sie im Eingang stand und wir sie sahen: Maharets Zwillingsschwester, stumm, weil Akasha ihr einst die Zunge herausgerissen hatte – Mekare! Sie war es, die die langen schwarzen Flechten der Königin packte, sie schmetterte die Königin mit dem Kopf gegen die zersplitternde Glaswand, sie trennte ihr so den Kopf vom Rumpf. Und sie und ihre Schwester sanken auf die Knie und entnahmen der enthaupteten Königin den Heiligen Urkern, von dem alle Vampire abstammen. Ob sich einst Herz oder Hirn diesen Urkern – diese Wurzel allen Übels – zu Eigen gemacht hatte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die
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