Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)
erklären vermochte, und war deshalb erleichtert, als er sich sogleich wieder verabschiedete.
Als Derby Mitte September für eine Woche verreist war, sprachen einige Angehörige der dekadenten Studentengruppe darüber – sie deuteten ein Treffen mit einem berüchtigten Sektenführer an, der vor Kurzem aus England ausgewiesen worden sei und sein Hauptquartier nun in New York aufgeschlagen habe. Mir jedoch blieb jene merkwürdige Fahrt von Maine zurück nach Hause unvergessen. Diese Verwandlung, deren Zeuge ich gewesen bin, hatte mich tief bestürzt, und ich ertappte mich immer wieder dabei, die Sache erklären zu wollen – wie auch das maßlose Grauen, das sie in mir ausgelöst hatte.
Doch die eigenartigsten Gerüchte waren die über das Seufzen im alten Crowninshield-Haus. Es schien die Stimme einer Frau zu sein, und manche der jüngeren Leute fanden, sie höre sich an wie die von Asenath. Das Seufzen war nicht oft vernehmbar, und manchmal brach es plötzlich ab, als würde es roh erstickt. Man sprach auch über eine bevorstehende Ermittlung, doch wurde das eines Tages überflüssig, als Asenath auf der Straße erschien und mit einer Reihe von Bekannten lebhaft plauderte – sie entschuldigte sich für ihre jüngste Zurückgezogenheit und erwähnte wie beiläufig den hysterischen Nervenzusammenbruch eines Gastes aus Boston. Diesen Gast hatte zwar niemand gesehen, doch durch Asenaths Erklärungen verstummte das Gerede. Und dann verkomplizierte sich diese Geschichte, als jemand herumtuschelte, die Seufzer hätten sich ein- oder zweimal nach einer Männerstimme angehört.
Eines Abends Mitte Oktober vernahm ich das vertraute Erkennungszeichen an der Haustür. Als ich öffnete, sah ich Edward auf den Stufen und erkannte sogleich, dass er sich in seinem alten Persönlichkeitszustand befand. So hatte ich ihn seit jener schrecklichen Heimfahrt aus Chesuncook nicht mehr gesehen. Sein Gesicht zuckte in einer Aufwallung unterschiedlicher Gefühle, in der Furcht und Freude scheinbar um die Herrschaft kämpften, und er blickte verstohlen über seine Schulter zurück, als ich die Tür hinter ihm schloss.
Unbeholfen folgte er mir in mein Arbeitszimmer und bat um einen Schluck Whiskey, um seine Nerven zu beruhigen. Ich stellte erst mal keine Fragen und wartete ab, was er zu sagen hatte.
Endlich wagte er es, mir mit erstickter Stimme einige Neuigkeiten zu eröffnen: »Asenath ist fortgegangen, Dan. Wir haben uns letzte Nacht lange unterhalten, als die Dienstboten Ausgang hatten, und ich habe sie schwören lassen, mich nicht mehr heimzusuchen. Natürlich hatte ich gewisse – gewisse okkulte Verteidigungsmittel, von denen ich dir nie erzählt habe. Sie musste nachgeben, wurde aber fürchterlich zornig. Sie hat gepackt und ist auf dem Weg nach New York – sie will den Zug nach Boston um 20.20 Uhr nehmen. Ich schätze, dass die Leute darüber reden werden, aber ich kann’s nicht verhindern. Du musst nicht erwähnen, dass es Streit gab – sage einfach, sie befinde sich auf einer langen Forschungsreise.
Sie wird vermutlich bei einer dieser schrecklichen Gruppen wohnen, deren Mitglieder sie verehren. Ich hoffe, sie geht in den Westen und reicht die Scheidung ein – jedenfalls habe ich sie dazu gebracht, zu versprechen, fernzubleiben und mich in Frieden zu lassen. Es war grauenhaft, Dan – sie stahl mir meinen Körper – verdrängte mich – machte mich zu einem Gefangenen. Ich habe mich unterwürfig verhalten und meine Zustimmung vorgetäuscht, doch ich musste verdammt achtgeben. Ich konnte nur mit äußerster Vorsicht planen, aber sie kann meine Gedanken nicht wirklich lesen, zumindest nicht in allen Einzelheiten. Alles, was sie von meinen Absichten erahnen konnte, war ein allgemeiner Widerstand – und sie glaubte die ganze Zeit, ich sei hilflos. Hätte nie gedacht, ich könnte sie überwinden … aber ich kannte ein oder zwei Bannsprüche, die gewirkt haben.«
Derby blickte sich vorsichtig um und nahm noch einen Schluck Whiskey.
»Ich habe diese verdammten Dienstboten heute Morgen ausgezahlt, als sie zurückkamen. Sie wurden ziemlich unangenehm und haben Fragen gestellt, aber sie sind jetzt weg. Sie sind von Asenaths Art – Innsmouth-Leute – und haben mit ihr unter einer Decke gesteckt. Ich hoffe, dass sie mich in Ruhe lassen – es gefiel mir nicht, wie sie beim Davongehen lachten. Ich muss so viele von Dads alten Dienstboten zurückholen wie möglich. Ich werde nun wieder nach Hause ziehen.
Ich vermute, du hältst
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