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Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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seltsame Gebete an diese Berge gerichtet – doch keiner von ihnen hat sich jemals den Bergen genähert oder es gewagt, zu ergründen, was jenseits ihrer Gipfel liegen mochte. Keines Menschen Auge hatte sie jemals angesehen, und als ich die Empfindungen nachvollzog, die in den Reliefs zum Ausdruck kamen, betete ich dafür, dass es auch nie so weit kommt. Hinter diesen Gipfeln ragt längs der Küste eine Schutzwand aus niedrigeren Bergen empor – in Queen-Mary- und Kaiser-Wilhelm-Land – und ich danke dem Himmel, dass es bisher niemandem gelungen ist, diese kleineren Berge zu erreichen und zu ersteigen. Ich sehe die alten Sagen und Ängste nicht mehr so skeptisch wie früher, und deshalb lache ich auch nicht über die Vorstellungen der vormenschlichen Bildhauer, dass Blitze hin und wieder bedeutungsvoll über diesen brütenden Gipfeln verharrten, und dass ein unerklärlicher Lichtschein eine dieser grässlichen Zinnen die ganze lange Polarnacht hindurch erhellte. Es könnte sehr wohl eine reale und überaus monströse Bedeutung in dem alten Pnakotischen Gewisper über das Kadath in der Kalten Öde liegen.
    Aber unsere nähere Umgebung war kaum weniger seltsam, wenn auch nicht ganz so unsäglich verflucht. Bald nach der Gründung der Stadt wurden auf dem großen Gebirgszug die wichtigsten Tempel errichtet, und auf zahlreichen Reliefs sahen wir, dass dort, wo wir jetzt nur noch die eigentümlich an den Berghängen klebenden Würfel und Bastionen erblickten, einst groteske und fantastische Türme in den Himmel stießen. Im Laufe der Zeitalter hatten sich Höhlen gebildet und waren dem Tempel angegliedert worden. Mit dem Heraufziehen noch späterer Epochen wurden die Kalksteinadern der Gegend vom Grundwasser ausgewaschen, sodass die Berge selbst, die Vorberge und die Ebenen an ihrem Fuße sich in ein wahres Netzwerk aus miteinander verbundenen Höhlen und Stollen verwandelten. Viele der Steingravuren berichteten von Erkundungen tief im Inneren der Erde und von der Entdeckung des stygischen, sonnenlosen Ozeans, der sich in den Eingeweiden der Erde versteckt hatte.
    Dieser gewaltige, nachtschwarze Schlund war zweifellos von dem großen Fluss gegraben worden, der aus den namenlosen Bergen im Westen herabgeströmt war und einst am Fuße der Bergkette der Großen Alten seine Richtung geändert und an ihr entlanggeschlängelt hatte, bis er zwischen Budd-Land und Totten-Land an der von Wilkes entdeckten Küste in den Indischen Ozean mündete. Nach und nach hatte er an seiner Biegung den Kalksteinuntergrund weggefressen, bis seine nagenden Fluten die Grotten des Grundwassers erreichten und sich mit diesem vereinten, um einen noch tieferen Abgrund auszuwaschen. Letztendlich ergoss er sein gesamtes Wasser in die ausgehöhlten Berge und sein altes, zum Ozean führendes Bett blieb trocken zurück. Ein Großteil der späteren Stadt, wie wir sie jetzt vorgefunden hatten, war über diesem ehemaligen Flussbett erbaut worden. Die Großen Alten, die wussten, was geschehen war, hatten mit ihrem stets regen Kunstsinn aus der Landzunge der Vorberge reich verzierte Pfeiler gehauen, dort, wo der Fluss einst seinen Sturz in ewige Dunkelheit angetreten hatte.
    Offenkundig war dieser Fluss, den einst unzählige stattliche Steinbrücken überspannten, der, dessen ausgetrockneten Lauf wir während unseres Erkundungsflugs erblickt hatten. Seine Position auf verschiedenen Reliefdarstellungen half uns dabei, ein Bild der Stadt während ihrer verschiedenen Entwicklungsstufen im Laufe der Ewigkeiten zu gewinnen, sodass wir in der Lage waren, eine flüchtige, aber brauchbare Karte mit den auffälligsten Merkmalen anzufertigen – öffentliche Plätze, maßgebliche Gebäude und dergleichen –, die das Zurechtfinden bei künftigen Erkundungen in der Ruinenstadt erleichtern werden. Bald vermochten wir, uns das ganze gigantische Trümmerfeld vorzustellen, wie es vor einer Millionen oder zehn Millionen oder fünfzig Millionen Jahren ausgesehen hatte, denn die Reliefs vermittelten uns anschaulich das Aussehen der Gebäude, der Berge, der Plätze, der Außenbezirke, der landschaftlichen Umgebung und der üppigen Vegetation. Dem Ganzen musste eine märchenhafte, rätselhafte Schönheit innegewohnt haben, und als ich es mir vorstellte, vergaß ich beinahe das dumpfe Gefühl düsterer Beklemmung, mit dem das unmenschliche Alter der Stadt, ihre Wucht, Leblosigkeit, Isolation und ihr eisiges Zwielicht meinen Verstand bedrückten. Doch einzelne Reliefs verrieten,

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