Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
Verbündeter sein. Aber einen Freund würde ich ihn nicht nennen, nein.«
Der Sänger aß auch am folgenden Morgen allein. Adrian sah ihn auf der anderen Seite des Feuers sitzen. Die Handel treibenden Brüder aßen zusammen mit einigen Männern des Haushalts am Tisch und unterhielten sich angeregt. Adrian, Elsa und Aagard saßen neben ihrem Gastgeber. Gilbert hatte es seinen Gästen an nichts fehlen lassen. Sie hatten gute Strohbetten in der Halle erhalten, in der die ganze Nacht ein niedriges Feuer brannte, und bekamen zum Frühstück Brot und Käse, so viel sie essen konnten. Gilbert schien zu bedauern, dass sie nach dem Frühstück schon wieder aufbrechen wollten. Als er hörte, wohin sie unterwegs waren, schüttelte er den Kopf.
»Ihr wisst natürlich selbst, was Ihr wollt, Meister Aagard«, sagte er. »Aber Ihr habt einen langen Weg vor Euch, wenn Ihr diese beiden jungen Leute nach Hause bringen wollt, und von Wessex hört man in letzter Zeit Schlimmes. Es geht dort drunter und drüber. König Beotrichs eigene Männer, heißt es, sammelten von anderen Tribut ein, und niemand gebiete ihnen Einhalt.«
Aagard nickte düster. »Das sagte Cluaran gestern Abend auch. Trotzdem müssen wir aufbrechen.«
Gilberts breites Gesicht hellte sich auf. »Warum tut Ihr Euch nicht mit dem Sänger zusammen? Er ist nach Wareham unterwegs und das liegt mehr oder weniger auf Eurer Strecke. Man kennt ihn in den Adelshäusern der Gegend und er könnte für Euch bürgen, wo Ihr fremd seid.«
»Cluaran reist allein«, erwiderte Aagard und sah zu der Ecke hinüber, in welcher der Sänger in sich versunken beim Essen saß. »Er wäre über Gesellschaft nicht froh.« Doch schien er sich, seiner Miene nach zu urteilen, darüber nicht ganz schlüssig.
Gleich nach dem Essen schickten sie sich an zu gehen. Aagard verabschiedete sich von Gilbert und Adrian wartete ungeduldig an der Tür. Er sah Cluaran mit seinem Ranzen und dem Kasten mit der Harfe auf dem Rücken zum Tor schreiten. Cluaran war allein, wie Aagard gesagt hatte. Adrian sah ihn nicht ungern gehen. Der durchdringende Blick des Sängers am Abend zuvor hatte ihn verunsichert. Außerdem wollte er auf dem schnellsten Weg nach Hause zurückkehren und nicht dem Sänger von Haus zu Haus folgen.
Sie traten soeben durch das Tor in den Palisaden, da galoppierte ein Reiter auf einem schweißbedeckten Pferd die Küstenstraße zum Dorf hinauf.
Aagard blieb stehen.
»Wartet einen Augenblick«, wies er Adrian und Elsa an und kehrte durch das Tor zurück. Adrian hörte, wie er jemanden rief. Kurz darauf kehrte er zurück. Hinter ihm erschien keuchend Gilbert.
»Sei gegrüßt, Wulf!«, rief Gilbert dem Reiter zu. »Wer ist hinter dir her?« Er brach ab und musterte den Reiter erschrocken. Wulf war leichenblass und über seine Wange lief eine lange Schnittwunde.
»Medwel!«, keuchte er und brachte sein Pferd zum Stehen.
Adrian erstarrte. Aagard und Gilbert eilten zu Wulf, um ihm beim Absteigen zu helfen. Elsa zog Adrian am Ärmel, doch seine Beine wollten sich nicht in Bewegung setzen.
»Ich muss gleich wieder zurück! Wir müssen alle zurück!«, protestierte der Reiter. »Bewaffnete Männer mit Fackeln haben Medwel überfallen. Das Dorf brennt!«
Adrian schrie auf. Niemand schien ihn zu hören, da Gilbert bereits laut seine Männer zu den Waffen rief. Aagard fragte den Boten aus, was er gesehen habe. Adrian hörte die Antwort wie aus großer Entfernung. »… keine gewöhnlichen Plünderer, sondern Gefolgsleute eines adligen Herrn, mit Schwertern bewaffnet. Sie wollten etwas von den Dorfältesten, ich habe nicht gehört, was. Dann zündeten sie die Häuser an und ich ritt hierher, um Hilfe zu holen.«
Adrian wollte gar nicht mehr hören. Der Anblick der lichterloh brennenden Strohdächer und der schreienden Menschen stand ihm so lebhaft vor Augen, dass er auf die Knie fiel und die Arme abwehrend über den Kopf hob.
»Adrian?«
Aagard stand neben ihm. Gilberts Männer eilten über den Hof, holten Speere und sattelten Pferde. Gilbert war als Lehensherr verpflichtet, den Dorfbewohnern zu Hilfe zu eilen. Adrian wusste, dass die Männer mindestens eine Stunde brauchen würden, um nach Medwel zu reiten. Doch er konnte nicht zusehen, wie sie sich versammelten, und er konnte auch Aagard nicht ansehen. Ihm war übel.
»Adrian, mein Junge«, wiederholte der Alte, »was fehlt dir?«
»Ich habe sie gesehen«, murmelte Adrian. Und als Aagard ihn nicht zu verstehen schien, rief er zornig:
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