Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
lehnten sich nebeneinander dagegen. Durch Ritzen zwischen den Balken und dem Spalt unter der Tür sickerte Mondlicht. In der Zelle gab es allerdings nichts zu sehen, weder Bett noch Stuhl.
Elsa blickte starr geradeaus und Adrian musterte sie verstohlen. Sie schien den Tränen nahe.
»Es ist alles meine Schuld«, murmelte sie. »Ich musste unbedingt in die Stadt, obwohl du mich davor gewarnt hast. Es tut mir so leid, Adrian!«
»Ich wollte ja mitkommen«, sagte er. »Und mein Vater ist wirklich mit König Beotrich befreundet. Wenn der Hauptmann dem König sagt, wer ich bin, droht uns keine Gefahr.«
Er klang zuversichtlicher, als ihm zumute war, doch schienen seine Worte Elsa zu trösten. »Der Hauptmann hat dir geglaubt, nicht wahr?«, sagte sie. »Und er sagte, er habe Aagard zur Flucht verholfen. Bestimmt hält er Wort.«
»Im Unterschied zu Cluaran«, meinte Adrian bitter. »Du hast ihm das Leben gerettet und er lässt uns im Stich!«
»Aagard hat ja gesagt, wir sollten ihm nicht trauen«, erinnerte Elsa ihn.
»Aber er hat nicht gesagt, dass Cluaran uns verraten würde!« Adrian kam ein schrecklicher Verdacht. »Angenommen, er wusste genau, dass wir ihm folgen würden … Dann hätte er uns in die Falle gelockt!«
»Nein!«, entgegnete Elsa im Brustton der Überzeugung. »Das Schwert hat uns verraten – es war plötzlich da, ohne dass ich es gerufen hatte. Das konnte Cluaran nicht wissen.« Sie verstummte unsicher. »Oder?«
Im ersten Morgengrauen holten die Wächter sie. Elsa war schon wach, sie hatte kaum geschlafen. Die auf dem Rücken gefesselten Arme taten ihr weh und ihre Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Cluaran mochte sie im Stich gelassen haben, aber ausgerechnet das Schwert hatte sie an ihre Verfolger verraten, die sie seit Dunmonia so hartnäckig jagten.
Die Tür flog auf. Zwei schwarz gekleidete Gestalten packten Elsa an den Armen und rissen sie hoch. Dann lösten sie die Fesseln an ihren Füßen so weit, dass sie laufen konnte. Mit Adrian verfuhren sie genauso.
»Nicht so grob!«, hörte Elsa ihn empört rufen und musste lächeln. Der lässt sich auch nicht von einem ganzen Saal voller Richter einschüchtern, dachte sie.
Sie wurden nach draußen und zu dem Gebäude mit Säulen am anderen Ende des Platzes geführt. Es war drinnen so hoch wie eine Kirche, ganz aus Stein erbaut und entlang der Längswände mit Säulen verziert. Ihre Schritte hallten auf dem Fliesenboden. Sie gingen an leeren Bänken vorbei zu einem Podium am Ende des Saals, auf dem auf schweren, holzgeschnitzten Stühlen sieben Männer saßen. Die Wächter drückten Adrian und Elsa unsanft auf die Knie.
Die Männer auf dem Podium betrachteten sie einen Augenblick schweigend und – wie Elsa dachte – einigermaßen überrascht. Dann stand der Mann in der Mitte auf. Er wirkte nur wenig älter als Elsas Vater, hatte schulterlange glatte, blonde Haare und ein blasses Gesicht, das offenbar nur selten der Sonne ausgesetzt war. Um die Stirn trug er einen schmalen goldenen Reif und sein Gewand wurde von einer Brosche in Form eines Schwertes gehalten. Als Adrian ihn sah, wollte er aufstehen, doch der Wächter hinter ihm stieß ihn so heftig zu Boden, dass er nach vorn aufs Gesicht fiel.
Das muss König Beotrich sein, dachte Elsa, der mächtigste Mann der Königreiche des Südens.
»Wo ist Orgrim?«, wollte der König wissen. Er blickte zu Elsa und Adrian hinunter. »Wo ist mein wichtigster Berater?«, rief er wieder. »Sind das die beiden Spione, von denen man mir berichtet hat?«
Am hinteren Ende des Saals entstand Bewegung, gefolgt von gemessenen, schweren Schritten. Elsa versuchte sich umzudrehen, so gut es ging. Zugleich spürte sie wieder das Brennen unter der Haut ihrer rechten Hand. Sie schloss die Augen und konzentrierte ihre ganze Willenskraft auf das Schwert. Es sollte jetzt nicht erscheinen! Mit gefesselten Händen konnte sie sowieso nicht kämpfen – und Orgrim durfte nicht wissen, dass er dem begehrten Objekt so nahe war. Wenn sie das Schwert rufen konnte, konnte sie ihm doch bestimmt auch befehlen, dass es wegblieb?
Der Neuankömmling ging langsam an ihnen vorbei. Elsa sah nur eine hochgewachsene Gestalt, bekleidet mit dem roten Mantel eines königlichen Ratsherrn. Eine pelzgefütterte Kapuze verbarg sein Gesicht. Vor ihnen blieb er stehen, das Gesicht dem Rat zugewandt. Dann begann er zu reden.
Seine kalte, klare Stimme versetzte Elsa sofort wieder an den See zurück, an dem sie und Adrian sich vor den
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