Chroniken der Dunkelheit - 01 - Eisdrache
erklangen und er war verschwunden.
Adrian wusste, dass er ihm eigentlich folgen sollte, doch sein Blick wanderte wie magisch angezogen zu Elsa zurück. Blut tropfte aus dem Schnitt in ihrem Arm; sie hatte die Augen geschlossen und schwitzte. Auch Orgrims Hände waren blutig. Sie vollführten komplizierte Bewegungen um das Kristallschwert herum, das im Takt mit den sich verschlingenden Fingern pulsierte. Elsa schien kaum noch bei Bewusstsein. Ihr Gesicht war so weiß wie das Kristallschwert.
Adrian wusste, was der Zauberer vorhatte. Er wollte Elsa das Schwert wegnehmen. Und dann würde Elsa sterben.
Er tat einen stummen Schrei der Empörung – und Orgrims Gedanken wandten sich von Elsa ab. Auf einmal spürte Adrian wieder den so schrecklich vertrauten Druck in seinem eigenen Kopf – er erstarrte.
Willkommen, Kleiner.
Adrian wollte die Augen öffnen, konnte es aber nicht. Erschrocken stellte er fest, dass er in der Falle saß. Sein Körper war weg, ihm blieb nur die Szene vor ihm.
Du hättest dich nicht einmischen dürfen, sagte die kalte Stimme. Was wolltest du überhaupt?
Lasst sie in Ruhe! ,wollte Adrian schreien.
Die Stimme lachte ihn nur aus.
Geh jetzt. Um dich kümmere ich mich später, kleiner Gänserich.
Er spürte einen heftigen Stoß – und lag mit dem Gesicht nach unten und dem Mund voller Heu in der Scheune.
Vor Schmerzen nahm Elsa alles wie durch einen roten Schleier wahr. Ihre gefesselten Arme und Beine pochten und die Messerschnitte auf ihrem Arm brannten wie Feuer. Die Schnitte gingen nicht tief, waren aber so angeordnet, als habe Orgrim ein Muster in ihre Haut ritzen wollen. Sie verursachten ihr nicht nur körperliche Schmerzen. Warum sie das Schwert immer noch in der Hand hielt, wusste sie nicht. Hatte Orgrim es beschworen? Oder wollte es jetzt eigenmächtig kämpfen?
Anfangs war jeder Schnitt mit einer Frage verbunden gewesen. »Wie heißt das Schwert?« – »Woher hast du es?« Und immer wieder: »Gib es mir freiwillig, dann tue ich dir nichts.«
Bevor sie vor Schmerzen nicht mehr sprechen konnte, hatte sie vor ihm ausgespuckt. »Findet es doch selber heraus, wenn Ihr so klug seid.« Doch egal, was sie sagte, das ebenmäßige Gesicht über ihr blieb völlig unbewegt. Sie verstummte, fest entschlossen, nicht zu weinen.
Orgrim fand sich schließlich damit ab, dass er keine Antwort bekommen würde. Er stimmte eine Art Sprechgesang an und bewegte den Oberkörper vor und wieder zurück. Immer wieder verschwand er aus ihrem Gesichtsfeld und tauchte wieder auf. Elsa hörte ihn endlose Beschwörungsformeln murmeln.
Das Kristallschwert pulsierte im Rhythmus seiner Bewegungen, und jedes Mal schlugen die Schmerzen über Elsa zusammen und alle Kraft verließ sie. Sie wusste nicht, wie lange sie die Folter noch aushalten würde. Angst hatte sie schon lange keine mehr, aber Wut war noch da. Wie dumm, sich so fangen zu lassen, wie überflüssig.
Der Sprechgesang brach ab. Elsa kam wieder zu Bewusstsein und öffnete vorsichtig die Augen. Sie wollte den Kopf drehen, doch die Klammer, in die er eingespannt war, ließ es nicht zu. Stechender Schmerz fuhr ihr den Rücken hinunter. Orgrim stand immer noch über ihr, doch war er in Trance gefallen – er starrte ins Leere und redete mit sich selbst. Elsa konzentrierte ihren ganzen Willen auf ihre Schwerthand. Daraufhin schossen ihr so furchtbare Schmerzen durch Arm und Schulter, dass sie laut aufschluchzte. Sie konnte das Schwert nicht einmal heben. Vater!, dachte sie.
Plötzlich erfüllte eine Stimme ihr Bewusstsein, klar und hell wie das Leuchten des Schwertes und kalt wie ein Gletscher. Die Stimme hatte die Kraft eines reißenden Stromes und klang uralt und schmerzhaft vertraut, als hörte Elsa sie in ihrem Herzen schon seit hundert Jahren.
So bekommt er das Schwert nicht!
Die Worte knackten ±md krachten wie eine auf einem winterlichen Teich berstende Eisdecke.
So vernichtet er uns nur beide. Ein Held kann das Kristallschwert nur auf eine Weise weitergeben.
Wie denn?, bettelte Elsa. Bitte hilf mir!
Du musst es wollen, sagte die Stimme. Aber du willst es nicht, Elsa, oder?
Orgrim verzerrte das Gesicht und zuckte am ganzen Körper. Er richtete den Blick wieder auf Elsa.
»Ihr könnt es mir nicht wegnehmen!«, rief sie. Sein Blick wurde kalt. »Wenn Ihr mich tötet, verschwindet auch das Schwert. Ich muss es Euch freiwillig geben. Das heißt, Ihr könnt mich nicht zwingen und mir auch nichts tun. Wenn Ihr mir etwas antut, tut Ihr dies
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