Chroniken der Dunkelheit - 03 - Feuerkreis
Mann, den sie kannte. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Er trug den roten Mantel eines Ratsherrn, ansonsten sah er noch genauso aus wie bei ihrer letzten Begegnung.
»Aagard!«, rief sie und eilte zu ihm, um ihn zu umarmen.
»Endlich haben meine Sorgen ein Ende!«, rief der Alte. Er hielt sie auf Armeslänge von sich weg und betrachtete ihr Gesicht. »Ich habe so oft Angst gehabt, du könntest scheitern, und mich für das verflucht, was ich euch zugemutet habe. Verzeih mir, dass ich an dir und Adrian gezweifelt habe.« Er wandte sich Adrian zu und sah, dass er erblindet war. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich habe euren Kampf aus der Ferne beobachtet und hoffte, ich hätte mich geirrt. Du hast einen hohen Preis gezahlt, Adrian. Dein Schicksal bekümmert mich zutiefst.«
In den letzten Tagen sei viel passiert, sagte er weiter. Beotrichs Männer und die zurückgekehrten Soldaten aus Sussex hätten die dänischen Angreifer an ihren Küsten zurückgeschlagen. Dagegen sei es im Osten zu weiteren Überfällen gekommen. Fanatiker seien im Königreich Kent gelandet und hätten mit Blut und Feuer eine neue Religion verbreitet. Vor zwei Tagen allerdings seien Soldaten Beotrichs aus Kent zurückgekehrt und hätten berichtet, die Armee, die ihnen in einem niedergebrannten Dorf gegenübergestanden hätte, habe plötzlich jeden Mut verloren. Die Soldaten hätten sich verwirrt umgesehen und nicht gewusst, was sie tun sollten. Die wenigen Angreifer habe man schnell besiegt, die meisten hätten einfach kehrtgemacht und seien weggegangen. Einige hätten geweint.
»Wir haben am selben Vormittag noch etwas anderes erfahren«, sagte Aagard ernst. »Orgrim wurde tot in seiner Zelle aufgefunden.«
Adrian zuckte zusammen und aus seiner Kehle kam ein ersticktes Geräusch. Elsa nahm seine Hand, doch er fasste sich rasch wieder und hörte sich mit unbewegtem Gesicht an, was Aagard zu berichten hatte.
»Er starb keines gewaltsamen Todes, Adrian. Er wirkte ganz friedlich – als sei der Funke, der ihn noch am Leben hielt, einfach erloschen. Als ich das hörte, war ich sicher, dass auch Loki keine Bedrohung mehr für uns darstellt.«
Beotrich wollte seinen Gästen unbedingt alle Ehren erweisen, die hochgestellten Nachbarn gebührten. Elsa, ihr Vater und Adrian wurden vom königlichen Rat empfangen und Cathbar hielt unter den Hochrufen der Ratsherren den silbernen Handschuh hoch. Elsas Hand pochte bei seinem Anblick – aber sie hatte mit ihm nichts mehr zu schaffen, dachte sie mit einer Mischung aus Bedauern und Erleichterung. Aagard schloss ihn in die Kiste ein, in der Elsa ihn gefunden hatte. Dort würden die Ratsherren und ihre Nachfahren ihn bis zu dem Tag aufbewahren, an dem er wieder gebraucht wurde.
Nach dem Empfang bat Beotrich Adrian, noch zu bleiben und mit ihm zu feiern, doch Adrian lehnte zu Elsas Erleichterung ab. »Ich muss nach Noviomagus zurückkehren«, sagte er. »Dort wartet meine Mutter auf mich.«
Aagard und Cathbar begleiteten sie zum Stadttor.
»Lebt wohl«, sagte Cathbar. Er schüttelte Trymman die Hand, dann fasste er Elsa an den Schultern. »Wir sind alle stolz auf dich«, sagte er. »Ich bin überzeugt, ich werde in den kommenden Jahren noch von dir hören, Elsa.« Er wandte sich an Adrian. »Wenn wir uns das nächste Mal sehen, beuge ich bestimmt schon das Knie vor einem König. Ich freue mich, dass ich dich zuerst als Kampfgefährten kennengelernt habe.« Seine Stimme klang rau. »Wenn ihr mich braucht, kommt mich besuchen. Ihr seid hier immer willkommen.«
Er und Aagard hoben die Hände zum Abschied und blickten ihnen vom Stadttor aus nach.
Zu dritt setzten sie die Reise fort. In Sichtweite der Stadt Noviomagus übernachteten sie zum letzten Mal zusammen. Zum Frühstück versammelten sie sich um die Überreste des Feuers vom vergangenen Abend und aßen das letzte Brot.
»Was wirst du tun?«, fragte Adrian Elsa. Er saß neben ihr und hatte das Gesicht dem Feuer zugewandt, als blicke er in dessen Flammenkern. Nur sein stilles, in sich gekehrtes Gesicht verriet, dass er blind war.
»Zur See fahren natürlich«, sagte Elsa. »Wir brauchen kein eigenes Schiff. Jeder Kapitän in Dubris nimmt meinen Vater als Ersten Ruderer.« Stolz betrachtete sie ihren Vater, der das Feuer mit Asche bestreute. Sie wusste, dass er immer noch seinem Schiff nachtrauerte, es aber nie zugegeben hätte. »Ich habe mich aus eigener Kraft hochgearbeitet und werde das auch noch einmal tun«, hatte er
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