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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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Macht war ein Irrweg. Macht ging immer in die Irre. Das war der Preis dafür, sie zu besitzen.
    In meinem Inneren schrie eine Frau, aber die Stimme klang vertraut. Ich stand wieder im Mondlicht und betrachtete meine Ahnfrau, die über ihrer toten Mutter weinte. Ganz verloren in dem Schluchzen.
    Ich fühlte mich dermaßen verloren. Ich spürte, wie die Jungs an mir zupften, wie sie nach meinen Armen griffen, aber ihre Berührung machte alles nur noch schlimmer, es war, als müsste ich mir die eigene Haut abreißen. Ich würde es tun, das spürte ich. Nur damit das alles aufhörte. Nur um es aufzuhalten.
    Nein , sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Es war nicht die der Finsternis. Es war etwas, das sogar noch tiefer lag.
    Nein , sagte sie noch einmal.

    Nein , flüsterte es. Nein, mein Kind. Es gibt immer einen Ausweg.
    Immer.
    Der Schrei, der in mir anschwoll, zerbrach in einem Schluchzen, und eine riesige Hand griff mich hinten am Hals. Wie die Berührung einer Spinne. Jeder Finger war so lang wie mein Unterarm. Rasch öffnete ich die Augen, gerade als mich Ha’an fest auf den Mund küsste. Ich war zu erschrocken, um mich zu bewegen, und dann war es der Schock, der mich zu Boden warf. Ich konnte wieder denken. Ich hatte endlich wieder zu mir selbst gefunden.
    Ha’an schmeckte nach Blut, sein Mund war gewaltig. Aus meiner Kehle stieg die Finsternis empor und berührte seine Lippen. Der Mahati-Lord erschauderte und ließ hastig von mir ab.
    Ich wischte mir zitternd den Mund. »Warum hast du das getan?«
    Gehetzt blickte er mich an. »Um etwas zu verstehen. Jetzt habe ich es verstanden.«
    Zee trieb seine Krallen in den Stein. »Jetzt verstehst du die andere Seite, Ha’an. Nach ihrer Vorstellung sind die Menschen und wir zusammen. Die Herzen bluten zusammen.«
    Ich stützte mich schwer auf meinen Ellbogen, rieb mir übers Gesicht und konnte noch immer nicht ganz begreifen, was gerade geschehen war. Ich starrte an Ha’an vorbei zu Jacks pulsierendem Licht hinüber – und einen Moment lang schien es mir so, als könnte ich einen Abdruck seines Gesichts erkennen, das ganz kurz auftauchte.
    »Es wird Krieg geben«, sagte ich, ohne den Blick von meinem Großvater zu lösen. »Mit dem Aetar ist das nur eine Frage der Zeit.«
    Ha’an folgte meinem Blick. »Aber er ist nicht dein Feind.«

    »Nein«, entgegnete ich.
    Er machte ein leises, nachdenkliches Geräusch. »Gegen den Aetar zu kämpfen, das war noch leicht, verglichen mit dem Krieg, den wir hinter uns haben.«
    Ich hätte gerne mehr erfahren, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, Fragen zu stellen. »Ich kann mir keinen Krieg erlauben. Er würde zu viele Unschuldige treffen.«
    »Und du bist allein.«
    »Nein.« Ich berührte meine Brust und erlebte einen seltsamen Aufruhr in meinem Herzen, weil ich es nun aussprechen und dazu stehen konnte. »Ich bin nicht allein. Ich bin nur in der Minderheit.«
    »So wie die Mahati.« Ha’an richtete sich auf und ließ den Blick über die umstehenden Dämonen schweifen. »Wir sind nicht von deinem Volk, aber du bist ein Teil von uns. Das spürst du. Und nicht nur wegen des Wesens, das in dir lebt.«
    Ich spüre es, und ich will es, dachte ich. So als wäre ich in einen Handschuh geschlüpft, den ich vor Jahrhunderten getragen hatte, und dabei feststellte, dass er immer noch perfekt passte. Vergessen, aber sehr vertraut.
    Füge dich in dein Schicksal , sagte die Finsternis. Triff deine Wahl. Lass uns jagen .
    Ich schmeckte Blut in meinem Mund. Nein.
    Alles gehört dir , erwiderte die Finsternis. Deine Armee, deine Leute, deine Verantwortung.
    Nein, entgegnete ich abermals und kämpfte gegen die Hitze an, die meine Venen erwärmte. Aber ein anderer, zitternder Teil von mir sagte: Ja, das will ich.
    Genau dies. Nicht nur die Macht, sondern die Mahati selber. Ihr Leben.
    Sie brauchen dich. Geführt könnten sie so viel Gutes vollbringen.
    Führ sie an, Jägerin. Binde sie, sei das Herz, das sie leitet.
    Ich blickte zu Ha’an hin, stellte fest, dass er mich aus seinen kalten grünen Augen musterte. Fremd – und doch wieder nicht fremd. Meine Abgrenzung gegen das Fremdartige wurde immer nachgiebiger. Dek schnurrte in mein Ohr, Rohw und Aaz schlichen herum, und Zee beobachtete mich ernst und nachdenklich.
    »Hier und jetzt muss eine Entscheidung fallen«, sagte Ha’an. »Und erst recht deshalb, weil du den Schleier wieder schließen willst.«
    Ich zuckte zusammen. Ha’an berührte seinen Mund mit diesen unglaublich langen

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