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Chroniken der Jägerin 3

Chroniken der Jägerin 3

Titel: Chroniken der Jägerin 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Liu
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Mahati. Mehr, als ich mir gedacht hatte, mehr, als ich mir je hätte vorstellen können. Tausende und Zehntausende, Hunderttausende. Ich befand mich mitten in einer Stadt. Hinter mir waren noch mehr aus dem Fels geschlagene Bauwerke zu sehen. Niedrige Türme und enge Gassen, Torbogen, die mit zerfetzten und fleckigen Fahnen bedeckt waren. Ich hörte Gesang, den Klang von Metall sowie ein unverständliches,
melodisches Stimmengewirr. Kleine nackte Gestalten schossen durch die Menge – ich war schockiert, als ich erkannte, dass es Kinder waren, mit wehendem, lockigem Silberhaar und langen, messerscharfen Fingern.
    All die Furcht, mit der ich hergekommen war, verwandelte sich in ungläubiges Staunen.
    Auch im Gefängnisschleier ging das Leben weiter.
    Es war einfach und wunderschön.
    Zuerst nahm uns niemand wahr. Da, wo wir uns befanden, die Jungs und ich, waren sie zu sehr damit beschäftigt, Haufen von Mama-Bluts Parasiten aufzuteilen, die die Luft mit hohen, markerschütternden Schreien erfüllten. Riesige Netze voller Schatten waren auf dem Felsgrund abgelegt worden – und die Mahati, die auf ihren Inhalt warteten, schienen vor Hunger ausgezehrt zu sein. Lange Schlangen hatten sich gebildet.
    Sie brauchen mehr , raunte die Finsternis. Sehr viel mehr.
    Aber nicht von mir , erwiderte ich, obwohl ich großes Mitleid empfand. Und nicht von der Erde.
    »Jack«, schnarrte Zee und zeigte auf etwas. Ich schaute hin und sah, wie in der Entfernung ein helles Licht direkt über den Köpfen einer Mahati-Menge aufleuchtete. Dieses Licht pulsierte wie ein fest installiertes Leuchtfeuer.
    Neben dem Licht stand Lord Ha’an, der die Mahati überragte, die um ihn herumstanden. Über die Köpfe seiner Leute hinweg sah er mir direkt in die Augen. Andere taten es ihm bald nach. Ein Schrei erhob sich, ein ohrenbetäubender Aufschrei aller Stimmen auf einmal, der jedoch ebenso plötzlich zu einem drückenden Schweigen erstarb. Die Nächststehenden bewegten sich nicht mehr, ja, sie hielten wohl sogar den Atem an.
    Dek leckte mich hinter dem Ohr. Ich atmete aus, holte noch
einmal tief Luft und lief dann auf Ha’an zu. Der erste Schritt fiel mir am schwersten, aber dann sah ich Jacks Licht, das sich jetzt in meine Richtung verlagerte, und ging weiter. Die Jungs schwärmten dicht am Boden aus, anmutig und geschmeidig, schnell wie Geschosse, und die Stacheln an ihren Wirbelsäulen wurden länger und spitzer, so als verändere sie die Luft.
    Die Mahati machten uns Platz und knieten nieder. Durch die Tausende von Körpern ging es durch wie eine Welle, die ihre Schultern niederdrückte und ihnen die Köpfe beugte. Vielleicht knieten sie wegen der Jungs und nicht meinetwegen, aber trotzdem war der Anblick furchterregend und raubte mir fast die Besinnung. So etwas durfte es eigentlich nicht geben. Der Schleier war die Hölle. Ich war einmal dazu erzogen worden, ihn zu fürchten, ihn zu bekämpfen und alles zu töten, was darin warten mochte.
    Aber jetzt ließ ich den Blick über die gesenkten Köpfe schweifen – und die einzigen Augen, von denen meine Blicke erwidert wurden, gehörten Kindern, kleinen Mahati, die noch nicht genug wussten, um Angst zu bekommen oder Respekt zu zeigen – oder was auch immer es sein mochte, das ihre Eltern dazu brachte, sich auf die Knie fallen zu lassen. Aus erstaunten, neugierigen Augen blinzelten sie mich an, und so fremdartig sie auch waren, ich konnte in ihnen keine Monster sehen. In keinem einzigen von diesen Tausenden und Abertausenden von Mahati, die uns umringten.
    Eine Bedrohung, das schon! Eine furchtbare Bedrohung sogar. Sie würden die Menschheit vernichten und versklaven, wenn ich sie nicht aufhielte.
    Aber ich wusste nicht, wie ich sie aufhalten sollte, ohne sie zu töten. Und das schien genauso falsch zu sein.
    Es ist auch falsch. Sieh doch nur, wie sie dich anbeten, sagte die
Finsternis und wogte mit schrecklichem Wohlgefallen durch mich hindurch. Sie entfaltete sich ganz oben in meiner Kehle und dehnte jeden Zentimeter meiner Haut so lange, bis ich mich reif fühlte und bereit war aufzubrechen, zu zersplittern und mich zu vergießen.
    Ha’an richtete sich auf und wartete schweigend. Als ich näher kam, faltete er die langen, eisenbewehrten Hände über seiner Brust und beugte seinen Kopf vor mir und den Jungs.
    Seine Augen leuchteten grün. »Ich dachte mir schon, dass du kämest, Mistress.«
    Ich sah zu Jacks Licht hinüber. Es war ein durchscheinendes, weißes Feuer mit Einsprengseln von

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