Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Treppenabsatz. »Du gehörst zu den Sterblichen. Du bist nur einen winzigen Moment allein, einen einzigen kosmischen Atemzug lang. Aber ich bin für alle Ewigkeit allein«, stieß sie hervor und drückte den abgetrennten Kopf fest an sich. »Was spielt es für euch schon für eine Rolle? Sicherlich gibt es in London dunklere Verbrechen, die die Aufmerksamkeit der Schattenjäger dringender erfordern, als meine jämmerlichen Versuche, meine Schwester wieder zurückzuholen?«
Rasch schaute Will zu Jem, der jedoch nur die Achseln zuckte. Offensichtlich war er genauso verwirrt wie Will.
»Es stimmt zwar, dass Totenbeschwörung gegen das Gesetz verstößt«, sagte Jem, »aber das gilt auch für die Verquickung von Dämonenenergie. Und dieser Tatbestand erfordert unsere Aufmerksamkeit - und zwar ziemlich dringend, würde ich meinen.«
Mrs Dark starrte ihn entgeistert an. »Verquickung von Dämonenenergie?«
»Leugnen hat keinen Zweck - wir kennen Ihre Pläne bis ins Detail«, erwiderte Will. »Wir wissen von den Automaten, von der Verquickungsformel, vom Auftrag des Magisters - den die restliche Brigade genau in diesem Moment in seinem Versteck aufspürt. Sobald sich die Nacht dem Ende entgegenneigt, wird er für immer von der Erdoberfläche verschwunden sein. Und dann gibt es niemanden mehr, an den Sie sich wenden können, und keinen Ort, wo Sie noch Zuflucht finden.«
Bei diesen Worten erbleichte Mrs Dark. »Der Magister?«, wisperte sie. »Ihr habt den Magister gefunden? Aber wie ...?«
»Ganz recht«, bestätigte Will. »De Quincey ist uns einmal entwischt, aber diesmal wird das nicht geschehen. Wir wissen, wo er steckt, und ...«
Doch seine Worte wurden übertönt ... von kreischendem Gelächter. Mrs Dark hielt sich am Treppengeländer fest, krümmte sich vor Lachen und konnte gar nicht mehr aufhören zu wiehern. Verwirrt starrten Will und Jem sie an, bis die Hexe sich endlich wieder fing und langsam aufrichtete. Dunkelgraue Lachtränen liefen ihr über die Wangen. »De Quincey, der Magister?!«, prustete sie. »Dieser tuntige, herausgeputzte Vampir? Oh, welch ein Witz! Ihr Narren, ihr dummen kleinen Narren!«
18
DREISSIG SILBERLINGE
Löscht seinen Namen und schreibt eine weitre Seel' verloren,
Eine weitre Pflicht versäumt, ein Pfad unbeschritten,
Ein weitrer Triumph des Bösen und Leid der Himmelsgeboren',
Ein weitres Fehl gen Menschen, ein Schimpf wider den Herrn!
ROBERT BROWNING,
»THE LOST LEADER«
Entgeistert krabbelte Tessa rückwärts. Sophie kniete noch immer bei Agatha, die Hände auf die Brust der alten Frau gepresst. Blut sickerte durch den dünnen Stoffverband unter ihren Fingern. Agathas Gesicht war inzwischen weiß wie eine Wand und sie röchelte und gurgelte erbärmlich. Als sie die Klockwerk-Automaten erblickte, riss sie entsetzt die Augen auf und versuchte, Sophie von sich fortzuschieben, doch das noch immer schluchzende Dienstmädchen klammerte sich hartnäckig an die Köchin und weigerte sich, sie loszulassen.
»Sophie!«, brüllte eine Stimme von der Wendeltreppe, begleitet von dröhnenden Schritten auf den Steinstufen. Eine Sekunde später stürmte Thomas durch die Eingangshalle, in der Hand das massive Schwert, das Tessa kurz zuvor in seinem Besitz gesehen hatte. Hinter ihm lief Jessamine, ihren Sonnenschirm fest im Griff und dicht gefolgt von Nathaniel, der zu Tode verängstigt wirkte. »Was um Himmels willen ...?«, stieß Thomas hervor, verstummte dann und schaute von Sophie, Tessa und Agatha zur Tür und wieder zurück.
Die Automaten hatten inzwischen innegehalten und sich direkt hinter der Türschwelle in einer Reihe aufgestellt - so reglos wie Marionetten, deren Fäden nicht länger bewegt wurden. Ihre ausdruckslosen Gesichter blickten stur geradeaus.
»Agatha!« Sophies Schluchzen steigerte sich zu einem Heulen. Die alte Frau lag nun still da, mit weit aufgerissenen, starren Augen und schlaff herabhängenden Armen.
Obwohl der Gedanke, den Kreaturen den Rücken zuzukehren, Tessa eine Gänsehaut bereitete, beugte sie sich zu Sophie hinab und berührte sie behutsam an der Schulter. Doch das Mädchen schüttelte ihre Hand ab und stieß kleine wimmernde Töne aus, wie ein gequälter Welpe. Hastig warf Tessa einen Blick in Richtung der Automaten. Sie verharrten weiterhin reglos wie Schachfiguren in der Türöffnung - doch wie lange mochte dieser Zustand noch anhalten? »Sophie, bitte!«, flehte Tessa.
Hinter ihr schnappte Nate keuchend nach Luft, die Augen auf den Boden geheftet.
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