Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
ihrem Kopf: »Oh doch, Sie sind eine Hexe. Das kann ich Ihnen versichern.« Und dennoch ...
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte Tessa laut. »Meine Mutter hätte niemals ... nicht mit einem Dämon.«
»Sie hatte ja keine Ahnung.« Mortmain klang fast mitleidig. »Keine Ahnung, dass sie ihrem Mann untreu war.«
Tessa drehte sich der Magen um. Natürlich erzählte Mortmain ihr nichts, was sie nicht selbst auch schon in Erwägung gezogen hatte. Trotzdem war es etwas völlig anderes, ihre Befürchtungen nun bestätigt zu hören. »Wenn der Mann, den ich für meinen Vater gehalten habe, nicht mein Vater war, und mein richtiger Vater ein Dämon ... warum trage ich dann kein Mal, so wie jedes andere Lilithkind eines trägt?«, fragte sie.
Mortmains Augen funkelten vor Bosheit. »In der Tat, warum nicht? Vermutlich weil Ihre Mutter nicht wusste, was sie war - genauso wenig, wie Sie es bis vor Kurzem wussten.«
»Was soll das heißen? Meine Mutter war ein Mensch!«
Mortmain schüttelte den Kopf. »Miss Gray, Sie stellen noch immer die falschen Fragen. Sie müssen endlich begreifen, dass es umfangreicher Vorbereitungen bedurfte, damit Sie eines Tages auf die Welt kommen konnten. Und diese Planungen begannen bereits lange vor meiner Zeit - ich habe sie nur fortgeführt, in dem Wissen, dass ich die Schöpfung von etwas Einzigartigem beaufsichtigte. Von etwas Einzigartigem, das nur mir gehören würde. Denn ich wusste, dass ich Sie eines Tages heiraten und Sie dann mir gehören würden - für immer.«
Entsetzt starrte Tessa ihn an. »Aber wieso? Sie lieben mich doch gar nicht. Sie kennen mich nicht. Sie wussten ja noch nicht einmal, wie ich aussehe! Ich hätte auch vollkommen abstoßend sein können!«
»Das hätte keine Rolle gespielt. Sie können so abstoßend oder attraktiv erscheinen, wie Sie wollen. Das Gesicht, das Sie im Moment tragen, ist nur eines von tausend möglichen Gesichtern. Wann begreifen Sie endlich? Es gibt keine wahre Tessa Gray!«
»Hinaus!«, sagte Tessa.
Mortmain starrte sie aus seinen hellen Augen an. »Was haben Sie gerade gesagt?«
»Hinaus. Verlassen Sie das Institut. Und nehmen Sie Ihre Monster mit. Oder ich werde mir dieses Messer ins Herz stoßen.«
Mortmain zögerte; seine Hände ballten und öffneten sich unentschlossen. So musste er früher in Momenten ausgesehen haben, in denen es blitzschnell eine geschäftliche Entscheidung zu treffen galt - kaufen oder verkaufen? Investieren oder expandieren? Mortmain war ein gewiefter Geschäftsmann und daran gewöhnt, eine Situation im Nu zu erfassen, überlegte Tessa. Und sie war nur ein Mädchen. Wie groß war da wohl die Wahrscheinlichkeit, dass es ihr gelingen würde, ihn auszumanövrieren?
Langsam schüttelte Mortmain den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich tun werden. Sie mögen zwar eine Hexe sein, aber andererseits sind Sie immer noch ein junges Ding. Ein zartes weibliches Wesen.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Gewalt liegt doch gar nicht in Ihrer Natur.«
Tessa umklammerte das Heft des Messers. Sie spürte nun jede Einzelheit - die harte, glatte Oberfläche des Griffs, die schmerzende Klingenspitze auf ihrer Haut, das rasende Pochen ihres eigenen Herzens. »Kommen Sie ja nicht näher«, sagte sie mit zittriger Stimme, »oder ich bringe mich um. Ich werde mir das Messer in die Brust rammen.«
Das leichte Zittern in ihrer Stimme schien Mortmain Gewissheit zu verleihen. Ein entschlossener Zug zeichnete sich um seine Mundwinkel ab und er marschierte selbstsicher auf sie zu. »Nein, das werden Sie nicht.«
In dem Moment hörte Tessa Wills Stimme in ihrem Kopf. »Sie nahm lieber Gift, als in römische Gefangenschaft zu gehen. Sie war mutiger als alle Männer.«
»Oh doch«, sagte sie. »Das werde ich.«
Irgendetwas in ihrem Ausdruck musste sich verändert haben, denn aus Mortmains Gesicht verschwand schlagartig jegliche Selbstsicherheit. Seine Arroganz wich heller Panik und er stürzte verzweifelt auf sie zu, um ihr das Messer zu entwinden.
Blitzschnell kehrte Tessa Mortmain den Rücken zu und schaute zum Brunnen. Das silbern plätschernde Wasser, das hoch über ihr herabsprudelte, war das Letzte, was ihre Augen sahen. Dann rammte sie sich das Messer tief in die Brust.
Vollkommen außer Atem keuchte Will durch den dunklen Korridor, der zum Sanktuarium führte. Im Treppenhaus hatte er gegen zwei dieser Klockwerk-Kreaturen kämpfen müssen und schon befürchtet, sein letztes Stündlein habe geschlagen, als der erste
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