Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Magnus für sie erkennen würde, als ihr Blick auf einen schlanken Mann mit einer Fülle heller Haare fiel, der einen schwarzen Frack trug. Sofort spürte sie, wie ihr Herz einen Satz machte. Doch als er sich umdrehte, wich ihre Freude bitterer Enttäuschung: Dieser Mann war nicht Nathaniel, sondern ein Vampir mit einem bleichen, kantigen Gesicht. Seine Haare schimmerten nicht blond wie die ihres Bruders, sondern wirkten im Kerzenschein fast farblos. Er nickte Tessa zu und steuerte dann in ihre Richtung, wobei er sich langsam einen Weg durch die Menge bahnte, unter der sich außer Vampiren auch vereinzelt Domestiken befanden. Diese trugen glänzende Serviertabletts mit leeren Gläsern. Neben den Gläsern lag jeweils ein Set unterschiedlicher Silberutensilien, allesamt mit scharfer Spitze: von Messern bis hin zu dünnen Gerätschaften, die an Schusterahlen erinnerten.
Während Tessa verwirrt auf eines dieser Tabletts starrte, wurde der Domestik, der gerade an ihr vorbeiging, von der Dame mit der weiß gepuderten Perücke angehalten. Herrisch schnippte sie mit den Fingern und der Finsterling - ein blasser Junge in grauer Livree - drehte gehorsam den Kopf zur Seite. Mit ihren spindeldürren Fingern nahm die Vampirin eine feine Ahle vom Tablett und zog deren scharfe Spitze langsam über den Hals des Domestiken, direkt unterhalb des Kiefers. Die Gläser auf dem Tablett klirrten, als seine Hand zu zittern begann, doch er ließ das Tablett nicht fallen - nicht einmal, als die Frau eines der Gläser nahm und es ihm so an die Kehle presste, dass das Blut in einem dünnen Rinnsal hineinströmte.
Tessa wurde übel, in einer plötzlich aufwallenden Mischung aus Abscheu und ... Hunger. Sie konnte den knurrenden Magen nicht leugnen, auch wenn es eigentlich nicht ihrer war. Doch viel stärker als Camilles Blutdurst wog ihr eigenes Entsetzen: Wie gelähmt sah sie zu, wie die Vampirin das Glas an die Lippen führte und trank, während der Junge mit grauem Gesicht zitternd danebenstand.
Am liebsten hätte sie nach Wills Hand gegriffen, aber eine Vampir-Baronesse würde niemals die Hand ihres Domestiken halten. Also richtete Tessa sich hoheitsvoll auf und befahl Will mit einem gebieterischen Fingerschnippen an ihre Seite. Überrascht schaute der Schattenjäger auf und gehorchte schließlich ihrem Befehl, wobei er seine Verärgerung nur mühsam verhehlen konnte. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Rolle zu spielen. »Nun lauf doch nicht einfach so herum, William«, tadelte sie ihn mit einem bedeutungsvollen Blick. »Ich will dich in dieser Menge nicht verlieren.«
Will presste die Kiefer zusammen. »Irgendwie beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass du das Ganze genießt«, stieß er leise hervor.
»Daran ist doch nichts Seltsames.« In einem Anflug ungeahnter Kühnheit klapste Tessa ihm mit der Spitze ihres feinen Fächers unter das Kinn. »Verhalte dich einfach nur gebührlich.«
»Es ist ja so mühsam, sie abzurichten, nicht wahr?« Der Mann mit den farblosen Haaren tauchte vor Tessa aus der Menge auf und verneigte sich kurz vor ihr. »Domestiken, meine ich«, fügte er hinzu. Offenbar deutete er ihren bestürzten Gesichtsausdruck fälschlicherweise als Verwirrung. »Und wenn sie dann endlich vernünftig abgerichtet sind, sterben sie urplötzlich an der einen oder anderen Krankheit. Empfindliche Geschöpfe, diese Menschen - ihre Lebensdauer übersteigt kaum die eines Schmetterlings.«
Er lächelte spöttisch, wobei seine glänzenden Zähne zum Vorschein traten. Seine Gesichtshaut schimmerte im bläulichen Weiß verdichteter Eisschollen, sein schulterlanges, fast weißes, aalglattes Haar streifte gerade eben den Kragen seines eleganten dunklen Mantels und die darunter hervorschauende graue Seidenweste zeigte ein Muster aus miteinander verwobenen, wirbelnden silberfarbenen Symbolen. Er sah aus wie ein russischer Zar aus einem Bilderbuch. »Welch eine Freude, Sie wiederzusehen, Lady Belcourt«, näselte er, mit einer leichten Sprachfärbung. Allerdings kein französischer, sondern eher ein slawischer Akzent, überlegte Tessa. »Irre ich mich oder habe ich dich vorhin in einer neuen Kutsche vorfahren gesehen, meine liebe Camille?«, fuhr der Mann fort.
Das ist de Quincey, hauchte Camilles Stimme in ihrem Kopf. Und plötzlich tauchten Bilder vor ihrem inneren Auge auf, wie aus einem Quell, der jedoch kein Wasser hervorsprudelte, sondern Erinnerungen: Sie sah sich mit de Quincey tanzen, ihre Hände auf seinen
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