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Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Titel: Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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aber sie hatte sich schon oft genug verwandelt, um zu wissen, was sie erwartete - das mühsame Herantasten an das Licht im Zentrum der Dunkelheit, das Gefühl von Licht und Wärme, als würde sie sich in eine dicke, schwere Decke hüllen und jeden Zentimeter ihrer eigenen Haut damit bedecken, und schließlich das Aufflammen des Lichts, das sie umfing und in sein Zentrum zog. Und im nächsten Moment war sie mittendrin. In der Haut einer anderen Person. In der Gedankenwelt dieses Menschen.
    In Jessamines Gedankenwelt.
    Noch befand sie sich nur am Rand dieser Welt; ihre Gedanken streiften die Oberfläche von Jessamines Geist wie Fingerspitzen eine stille Wasserfläche. Trotzdem verschlug es Tessa den Atem: Plötzlich sah sie ein leuchtendes Bild vor sich, das Bild eines Honigbonbons mit einer dunklen Mitte, wie ein Wurm im Kerngehäuse eines Apfels. Und dann spürte sie es: Groll, bitterer Hass, Wut, eine schreckliche Sehnsucht ...
    Tessa riss die Augen auf. Sie saß noch immer am Tisch, Jessamines Ring in der Hand. Ihre Haut prickelte wie von spitzen Nadeln gestochen - die übliche Begleiterscheinung ihrer Verwandlungen. Und sie konnte das seltsame Gewicht eines fremden Körpers spüren, eines Körpers, der nicht ihr eigener war, konnte fühlen, wie Jessamines Haare leicht über ihre Schultern streiften. Die blonden Locken waren zu dick für Tessas Haarnadeln und hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst.
    »Beim Erzengel«, stieß Charlotte hervor.
    Tessa schaute in die Runde. Alle Anwesenden starrten sie an: Charlotte und Henry mit offenem Mund, Will ausnahmsweise einmal sprachlos - das Glas Wasser, das er zum Mund hatte führen wollen, schwebte auf halber Strecke in der Luft. Und Jessamine ... Jessamine schaute sie kreidebleich an, wie jemand, dem sein eigener Geist begegnet ist. Einen kurzen Moment verspürte Tessa einen Hauch von Schuldgefühl.
    Doch das verflog genauso schnell, wie es gekommen war. Denn Jessamine nahm langsam die Hand vom Mund, noch immer ziemlich blass im Gesicht. »Du meine Güte, meine Nase ist ja riesig«, stieß sie hervor. »Warum hat mir das denn niemand gesagt?«

4
STAUB UND SCHATTEN
    Pulvis et umbra sumus.
    HORAZ,
»ODEN«
    In dem Moment, in dem Tessa sich wieder in ihre eigene Gestalt verwandelte, stürmten die Schattenjäger mit einer Fülle von Fragen auf sie ein. Für eine Gruppe von Leuten, die in einer Schattenwelt voller Magie lebte, waren die versammelten Nephilim überraschend beeindruckt von ihrer Fähigkeit - was Tessas Verdacht nur bestätigte: Ihre Begabung der Gestaltwandlung musste tatsächlich sehr außergewöhnlich sein.
    Selbst Charlotte, die bereits vor Tessas Demonstration von diesem Phänomen gehört hatte, wirkte völlig fasziniert. »Das heißt also, dass Sie einen Gegenstand aus dem Besitz der Person benötigen, in die Sie sich verwandeln wollen?«, fragte sie nun schon zum zweiten Mal. Sophie und die ältere Frau, von der Tessa annahm, dass es sich um die Köchin handelte, hatten inzwischen das Geschirr abgeräumt und Tee und Gebäck gereicht, was aber niemandem der Anwesenden bisher aufgefallen zu sein schien. »Sie können also nicht einfach jemanden anschauen und dann ...?«
    »Das hab ich doch schon erklärt.« Tessa bekam allmählich Kopfschmerzen. »Ich muss etwas in die Hand nehmen, das der betreffenden Person gehört, wie etwa einen Ring oder ein Haar oder eine Wimper. Etwas, das wirklich zu diesem Menschen gehört. Denn sonst passiert gar nichts.«
    »Und würde auch eine Phiole mit Blut genügen, um die Verwandlung einzuleiten?«, fragte Will mit wissenschaftlichem Interesse.
    »Möglicherweise, aber ich weiß es nicht genau. Ich habe es jedenfalls noch nicht ausprobiert.« Tessa nippte an ihrem Tee, der inzwischen kalt geworden war.
    »Und Sie behaupten, dass die Dunklen Schwestern von dieser Begabung wussten? Sie wussten es, noch bevor Sie selbst von Ihrer Fähigkeit auch nur ahnten?«, hakte Charlotte nach.
    »Ja. Aus diesem Grund wollten sie mich überhaupt erst in ihre Gewalt bekommen.«
    Henry schüttelte den Kopf. »Aber woher haben sie davon gewusst? Diesen Teil verstehe ich noch immer nicht ganz.«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Tessa, nicht zum ersten Mal. »Sie haben es mir nicht gesagt. Und ich weiß wirklich nicht mehr als das, was ich Ihnen erzählt habe: Die Schwestern schienen haargenau zu wissen, wozu ich fähig bin und wie sie mich darin unterrichten mussten. Sie haben stundenlang mit mir geübt, wieder und wieder, Tag für Tag

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