Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
unterhalten«, fügte sie hinzu und schenkte Will ein Lächeln, das jedoch nicht ihre Augen erreichte. »Ich hatte einst einen Geliebten ... ein Gestaltwandler, ein Lykanthrop. Allerdings ist es den Nachtkindern untersagt, die Kinder des Mondes zu lieben oder mit ihnen das Lager zu teilen. Wir waren sehr vorsichtig, doch de Quincey erfuhr davon. Er spürte uns auf und ermordete meinen Geliebten - auf eine ähnliche Weise, wie er irgendein armes Wesen bei seiner nächsten Soiree ermorden wird.« Camilles Augen schimmerten grün wie Smaragde, während sie die beiden Schattenjäger ansah. »Ich habe ihn geliebt und de Quincey hat ihn umgebracht. Und die anderen meines Schlages haben ihm dabei geholfen. Das werde ich ihnen nie verzeihen. Also tötet sie alle.«
Das Abkommen, dessen Unterzeichnung inzwischen zehn Jahre zurücklag, markierte einen historischen Moment für Nephilim und Schattenweltler gleichermaßen. Beide Gruppen würden nicht länger danach trachten, die jeweils andere zu vernichten; stattdessen würden sie sich gegen einen gemeinsamen Feind verbünden: die Dämonen. Fünfzig Männer und Frauen waren bei der Unterzeichnung in Idris zugegen gewesen: zehn Nachtkinder, zehn von Liliths Kindern, auch Hexenmeister genannt, zehn Angehörige des Lichten Volks, zehn Kinder des Mondes und zehn Nachkömmlinge von Raziels Blut ...
Mit einem Ruck schreckte Tessa hoch, als jemand leise an ihre Tür klopfte. Sie war eingedöst, den Kopf gegen die Kissen gelehnt und den Finger auf den aufgeschlagenen Seiten des Schattenjäger-Codex. Nachdem sie das Buch zugeklappt hatte, blieb ihr gerade noch Zeit, sich aufzusetzen und die Decke bis zum Hals zu ziehen, als die Tür sich auch schon vorsichtig öffnete.
Ein schwacher Lichtstrahl fiel ins Zimmer und dahinter kam Charlottes Gestalt in Sicht. Tessa verspürte einen seltsamen Stich, fast schon Enttäuschung - aber wen sonst hätte sie auch erwarten dürfen? Trotz der fortgeschrittenen Stunde war Charlotte so gekleidet, als beabsichtigte sie, noch auszugehen. Ihr Gesicht wirkte noch ernster als üblich und dunkle Schatten der Erschöpfung zeichneten sich unter ihren Augen ab. »Sind Sie noch wach?«, fragte sie leise.
Tessa nickte und hob das Buch, in dem sie gelesen hatte. »Ich studiere den Codex.«
Charlotte erwiderte nichts darauf, durchquerte jedoch das Zimmer und ließ sich am Fußende von Tessas Bett nieder. Als sie ihr die Hand entgegenstreckte, schimmerte etwas auf ihrer Handfläche - Tessas Klockwerk-Engel. »Sie haben das hier bei Henry zurückgelassen«, sagte sie.
Tessa legte das Buch beiseite, nahm den Anhänger entgegen, ließ die Kette über den Kopf gleiten und empfand ein Gefühl der Sicherheit, als sie das vertraute Gewicht an ihrer Kehle spürte. »Hat Henry irgendetwas darüber herausgefunden?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin mir nicht sicher. Er meinte, das gesamte Innere sei durch jahrelangen Rost vollkommen korrodiert gewesen und es wäre ein Wunder, dass das Uhrwerk überhaupt noch funktioniert hat. Soweit ich weiß, hat er alle mechanischen Teile gereinigt, aber offenbar ohne allzu großen Erfolg. Er lässt fragen, ob der Engel jetzt vielleicht regelmäßiger tickt?«
»Möglicherweise«, erwiderte Tessa, aber im Grunde interessierte sie das wenig. Sie war einfach nur froh, den Engel - das Symbol der Erinnerung an ihre Mutter und ihr Leben in New York - zurückzuhaben.
»Tessa ...«, setzte Charlotte an und faltete die Hände im Schoß. »Da gibt es etwas, das ich Ihnen nicht erzählt habe.«
Tessas Herz schlug schneller. »Worum geht es?«
»Um Mortmain ...« Charlotte zögerte einen Moment. »Als ich Ihnen berichtete, dass Mortmain Ihren Bruder in den Pandemonium Club eingeführt hat, entsprach das zwar der Wahrheit, aber das war noch nicht alles: Ihr Bruder wusste bereits von der Verborgenen Welt, bevor Mortmain ihm davon berichtete. Anscheinend hatte er durch Ihren Vater davon erfahren.«
Sprachlos starrte Tessa die Schattenjägerin an.
»Wie alt waren Sie, als Ihre Eltern verstarben?«, fragte Charlotte.
»Sie sind bei einem Unfall ums Leben gekommen«, erklärte Tessa, leicht benommen. »Ich war damals drei und Nate war sechs.«
Charlotte runzelte die Stirn. »Sehr jung ... dafür, dass Ihr Vater Ihren Bruder ins Vertrauen gezogen hat, aber ... vermutlich nicht völlig unmöglich.«
»Nein«, widersprach Tessa. »Nein, Sie verstehen das nicht richtig: Ich hatte die normalste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Und meine
Weitere Kostenlose Bücher