Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
von den anderen, die sie gebannt anstarrten, wenn auch nicht sprachlos wie bei ihrer ersten Verwandlung im Speisezimmer. Nur Camilles Lippen umspielte ein feines Lächeln.
Doch irgendetwas stimmte nicht: In ihrem Inneren verspürte Tessa eine große Leere - keine Trauer, sondern das abgrundtiefe Gefühl, dass irgendetwas fehlte. Sie rang nach Luft und im nächsten Augenblick fuhr ihr ein reißender Schmerz durch die Glieder. Kraftlos sank sie in einen der Sessel, presste die Hände auf die Brust und zitterte am ganzen Körper.
»Tessa?« Jem hockte sich neben ihren Sessel und nahm ihre Hand. Tessa konnte sich selbst im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand sehen oder - um genauer zu sein - Camilles Spiegelbild. Camilles schimmerndes silberblondes Haar, das sich in weichen Locken über ihre Schultern ergoss, und die weiße Haut, welche auf eine Weise über das nun zu enge Mieder wogte, die Tessa normalerweise hätte erröten lassen - wenn sie denn dazu in der Lage gewesen wäre. Doch Erröten erforderte Blut - Blut, das durch Adern floss. Und plötzlich erinnerte Tessa sich mit wachsendem Entsetzen, warum Vampire nicht atmeten, ihnen nie kalt oder warm wurde und sie auch kein pochendes Herz besaßen.
Dann war das also diese Leere, dieses seltsame Vakuum, das sie verspürte, überlegte sie. Das Herz in ihrer Brust schlug nicht mehr, war nur noch ein toter Klumpen. Als sie bestürzt nach Luft rang, schoss ein heftiger Schmerz durch ihre Lungen und Tessa erkannte, dass sie zwar noch atmen konnte, ihr neuer Körper dies aber nicht benötigte oder gar wollte.
»Oh Gott«, wisperte sie von Panik erfüllt und sah Jem an. »Ich ... mein Herz schlägt nicht mehr. Ich fühle mich, als wäre ich tot. Jem, ich ...«
Behutsam streichelte Jem ihre Hand und schaute sie aus seinen silbernen Augen besänftigend an. Der Ausdruck darin hatte sich auch nach ihrer Verwandlung nicht verändert - er betrachtete sie so, wie er sie stets betrachtet hatte, als wäre sie noch immer Tessa Gray.
»Keine Angst, du lebst«, erwiderte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Du trägst die Haut einer anderen Person, doch darunter bist du noch immer Tessa. Und du lebst. Weißt du, wieso ich das weiß?«
Tessa schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es, weil du eben ›Gott‹ gesagt hast. Und das kann kein Vampir.« Beruhigend drückte er ihre Hand. »Deine Seele ist noch immer unverändert.«
Tessa schloss die Augen und blieb einen Moment reglos sitzen, während sie sich auf den Druck seiner Finger konzentrierte, auf die Wärme seiner Hand auf ihrer eiskalten Haut. Nach einer Weile ließ das unkontrollierte Beben ihres Körpers nach; sie öffnete die Augen und schenkte Jem ein mattes, zittriges Lächeln.
»Tessa, ist alles ... ist alles in Ordnung?«, fragte Charlotte.
Tessa wandte langsam den Blick von Jems Gesicht ab und sah Charlotte an, die sie mit besorgter Miene musterte. Will, der neben Charlotte stand, betrachtete sie mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck.
»Sie werden natürlich noch üben und an Ihren Bewegungen und Ihrer Haltung arbeiten müssen, wenn Sie de Quincey davon überzeugen wollen, Sie seien ich«, bemerkte Lady Belcourt. »Ich würde mich beispielsweise niemals derart in einem Sessel lümmeln.« Dann neigte sie den Kopf leicht zur Seite und fuhr fort: »Insgesamt aber eine recht beachtliche Vorstellung. Anscheinend hatten Sie einen exzellenten Lehrmeister.«
Sofort musste Tessa an die Dunklen Schwestern denken. Waren sie exzellente Lehrmeister gewesen? Hatten sie ihr wirklich einen Gefallen damit getan, die in ihr schlummernde Kraft zu wecken - so sehr sie diese auch hassen mochte? Oder wäre es vielleicht besser gewesen, sie hätte nie davon erfahren?
Langsam ließ sie die fremde Gestalt von sich herabgleiten, streifte Camilles Haut ab. Im nächsten Moment hatte Tessa das Gefühl, als würde sie aus eisigem Wasser emporsteigen. Ihre Hand umklammerte Jems, während die Kälte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen durchfuhr wie eine frostklirrende Kaskade. Und dann machte in ihrer Brust irgendetwas einen Satz, wie ein Vogel, der nach einem Schlag gegen eine Glasscheibe reglos am Boden gelegen, seine Kräfte gesammelt und sich schließlich wie ein Pfeil in die Lüfte erhoben hatte: Ihr Herz schlug wieder. Luft strömte durch ihre Lungen und Tessa gab Jems Hand frei und presste ihre Finger gegen die Brust, um den darunterliegenden sanften Rhythmus zu spüren.
Als sie in den Spiegel an der gegenüberliegenden
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