Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Wand schaute, erkannte sie sich selbst darin: Tessa Gray - und keine überwältigend schöne Vampirin. Tessa verspürte eine Woge der Erleichterung.
»Mein Collier?«, sagte Lady Belcourt kühl und streckte ihre schlanke Hand aus.
Jem nahm die Rubinkette von Tessa in Empfang, um sie der Vampirin zu reichen. Als er sie anhob, sah Tessa, dass in die Silberfassung des größten Steins mehrere Worte graviert waren: »Amor verus numquam moritur.« Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Will, der sie quer durch den Raum ebenfalls eindringlich ansah. Dann wandten beide hastig die Augen ab.
»Lady Belcourt«, richtete Will seine Aufmerksamkeit wieder auf die Vampirin, »da niemand von uns bisher das Vergnügen hatte, de Quinceys Haus betreten zu dürfen, halten Sie es für denkbar, uns vielleicht einen Grundriss des Anwesens zu besorgen oder eine kleine Skizze mit den örtlichen Gegebenheiten anzufertigen?«
»Ich werde Ihnen etwas viel Besseres zur Verfügung stellen«, verkündete Lady Belcourt, während sie die Kette wieder anlegte. »Magnus Bane.«
»Der Hexenmeister?« Charlotte hob skeptisch die Augenbrauen.
»In der Tat«, bestätigte Lady Belcourt. »Er kennt de Quinceys Villa mindestens so gut wie ich und wird regelmäßig zu seinen Abendgesellschaften geladen. Allerdings hat er - ebenso wie ich - die Soireen, bei denen diese Morde begangen wurden, bisher immer gemieden.«
»Sehr nobel von ihm«, murmelte Will.
»Er wird sich bei de Quincey mit Ihnen treffen und Sie im Haus herumführen. Keiner der Gäste dürfte überrascht sein, uns gemeinsam dort zu sehen. Denn Sie müssen wissen: Magnus Bane ist mein Liebhaber.«
Tessa blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen: Diese Aussage zählte nicht zu den Dingen, die eine Dame in feiner Gesellschaft äußerte - oder überhaupt in irgendeiner Gesellschaft. Aber vielleicht galten für Vampire ja andere Maßstäbe? Allerdings wirkten auch alle anderen genauso sprachlos wie sie - bis auf Will, der wie üblich so aussah, als versuchte er, sich ein Lachen zu verkneifen.
»Wie ... wie nett«, stammelte Charlotte nach kurzem Zögern.
»Ja, der Meinung bin ich auch«, erwiderte Camille ungerührt und erhob sich. »Und nun wird es Zeit aufzubrechen. Wenn jemand die Güte besäße, mich hinauszubegleiten? Es ist schon spät und ich habe mich noch an niemandem gütlich getan.«
Charlotte warf Tessa einen besorgten Blick zu und wandte sich dann an die beiden jungen Schattenjäger: »Will, Jem, wärt ihr so freundlich?«
Tessa sah zu, wie die jungen Männer Camille wie Soldaten aus dem Raum eskortierten. An der Tür hielt die Vampirin noch einmal inne und warf einen Blick über die Schulter, wobei ihre silberblonden Locken über die makellosen Wangen streiften. Sie war so atemberaubend schön, dass es Tessa einen Stich versetzte und sie ihre instinktive Abneigung vergaß.
»Wenn Sie diese Aufgabe übernehmen, kleine Gestaltwandlerin, und sie erfolgreich zu Ende bringen - ganz gleich, ob Sie Ihren Bruder finden oder nicht -, verspreche ich Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden«, richtete Camille sich lächelnd an Tessa.
Das Mädchen runzelte die Stirn und setzte zu einer Frage an, doch Camille war bereits aus dem Raum gerauscht. Die Vampirin bewegte sich so schnell, dass es schien, als hätte sie sich zwischen zwei Atemzügen in Luft aufgelöst. »Was hat sie damit gemeint? Dass ich es nicht bereuen werde?« Tessa drehte sich zu Charlotte um.
Charlotte schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Sie seufzte. »Ich würde nur zu gern annehmen, sie meinte damit, dass das Vollbringen eines guten Werks immer etwas Erfüllendes hat. Aber wir haben es hier mit Camille zu tun, daher kann ich mich nicht dafür verbürgen ...«
»Sind alle Vampire so?«, fragte Tessa. »So kalt und gleichgültig?«
»Die meisten von ihnen weilen schon sehr lange auf dieser Welt«, erwiderte Charlotte diplomatisch. »Sie sehen viele Dinge etwas anders als wir.«
Tessa presste die Finger gegen ihre schmerzenden Schläfen. »Das kann man wohl sagen.«
Von allen Eigenschaften, die Will an Vampiren verabscheute - ihre geräuschlose Fortbewegungsweise, das tiefe, unmenschliche Timbre ihrer Stimme -, irritierte ihn ihr Geruch am meisten. Oder genauer: das Fehlen eines Geruchs. Alle Menschen rochen nach irgendetwas - Schweiß, Seife, Parfüm -, aber Vampire verströmten keinerlei Duft. Sie waren geruchlos wie Wachsfiguren.
Wenige Schritte vor ihm hielt Jem eine der Türen auf, die vom Sanktuarium
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