Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Schattenjägerknabe, der sie nur ausnutzen würde.
Eifrig drehte Tessa sich um und wollte gerade mit dem Jungen reden, der noch immer die Arme um sie gelegt hatte, als sie ruckartig innehielt: Sie hatte völlig vergessen, dass Gabriel hinter ihr stand und nicht Jem. Im Laufe der vergangenen Wochen hatte sie sich sehr an Jems Anwesenheit gewöhnt - an die Leichtigkeit, mit der sie sich mit ihm unterhalten konnte, an das beruhigende Gefühl seiner Hand an ihrem Arm, wenn sie zusammen spazieren gingen, und an die Tatsache, dass er der einzige Mensch auf Erden war, dem sie wirklich alles anvertrauen konnte. Und plötzlich erkannte sie verwundert: Obwohl sie ihn noch beim Frühstück und kurz an der Tür des Fechtsaals gesehen hatte, fehlte er ihr bereits. Sie vermisste ihn so sehr, dass es sie innerlich fast schmerzte.
Diese Verwirrung der Gefühle - die Sehnsucht nach Jem und ihr überwältigender Beschützerinstinkt gegenüber Sophie - führte dazu, dass ihr nächster Wurf weit danebenging. Der Dolch flog an Gideons Kopf vorbei und prallte vom Fensterbrett ab.
Gelassen schaute Gideon von der Klinge auf dem Boden zu seinem Bruder. Nichts schien ihn aus der Ruhe bringen zu können - nicht einmal die Tatsache, dass er beinahe enthauptet worden wäre. »Gabriel, worin liegt denn das Problem?«
Gabriel heftete seinen Blick auf Tessa. »Sie will einfach nicht zuhören«, stieß er gehässig hervor. »Und ich kann niemanden unterrichten, der nicht zuhören will.«
»Vielleicht würde sie besser zuhören, wenn du ein besserer Lehrer wärst.«
»Und vielleicht hättest du den Dolch kommen sehen, wenn du dich mehr auf deine Umgebung statt auf den Nacken von Miss Collins konzentrieren würdest«, konterte Gabriel.
Dann war also selbst Gabriel das Verhalten seines Bruders aufgefallen, überlegte Tessa, während Sophie errötete.
Gideon bedachte seinen Bruder mit einem langen, harten Blick - die beiden würden wohl auf dem Heimweg noch ein Wörtchen miteinander zu reden haben. Dann drehte er sich wieder zu Sophie um und raunte ihr etwas zu, das Tessa jedoch nicht verstand.
»Was ist denn heute in Sie gefahren?«, wandte Tessa sich leise an Gabriel und spürte, wie er sich versteifte.
»Was meinen Sie?«
»Normalerweise sind Sie recht geduldig«, erklärte Tessa. »Sie sind ein guter Lehrer, Gabriel, zumindest die meiste Zeit, aber heute erscheinen Sie mir reizbar und unduldsam und ...« Sie warf einen vielsagenden Blick auf seine Hand, die sich noch immer auf ihrem Arm befand. »Unschicklich.«
Gabriel besaß immerhin den Anstand, sie sofort loszulassen und eine beschämte Miene zu ziehen. »Meine tausendfache Entschuldigung! Ich hätte Sie so nicht berühren dürfen.«
»In der Tat, das hätten Sie nicht. Zumal Sie Will für seine Manieren kritisiert haben ...«
Der junge Lightwood lief knallrot an. »Ich habe mich doch entschuldigt, Miss Gray. Was erwarten Sie denn noch von mir?«
»Vielleicht ein etwas anderes Verhalten. Oder eine Erklärung für Ihre Abneigung gegenüber Will ...«
»Das habe ich Ihnen bereits gesagt: Wenn Sie unbedingt erfahren wollen, warum ich ihn verabscheue, dann sollten Sie ihn selbst fragen!«, blaffte Gabriel, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem Saal.
Resigniert betrachtete Tessa die Waffen an der Wand und seufzte: »Das war’s dann wohl mit meinem Unterricht.«
»Versuchen Sie, es nicht allzu persönlich zu nehmen«, riet Gideon, der gemeinsam mit Sophie auf sie zutrat.
Wie seltsam, überlegte Tessa: Im Allgemeinen schien Sophie sich in der Gegenwart eines Mannes unwohl zu fühlen - eigentlich in Gegenwart aller Männer, selbst wenn es sich nur um den sanftmütigen Henry handelte. Gegenüber Will verhielt sie sich wie von der Tarantel gestochen und bei Jem wirkte sie verlegen und auf der Hut, aber in Gideons Nähe erschien sie ... Nun, es ließ sich schwer in Worte fassen, aber es war auf jeden Fall äußerst merkwürdig.
»Es ist nicht Ihre Schuld, dass er sich heute so unausstehlich verhält«, fuhr Gideon fort und betrachtete Tessa ruhig.
Aus dieser Nähe konnte Tessa erkennen, dass seine Augen nicht exakt denselben Farbton besaßen wie die seines Bruders: Sie schimmerten eher graugrün, wie die Farbe des Ozeans unter einem bewölkten Himmel. »Die Situation zu Hause ... mit unserem Vater ... ist ein wenig angespannt und Gabriel lässt seinen Zorn an Ihnen aus - oder genau genommen an jedem, der in seine Nähe kommt.«
»Es tut mir leid, das zu hören. Ich
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