Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
schaute er zu Tessa hinüber. »Solltest du nicht auf dein Zimmer gehen und deine Trainingsmontur anziehen? Ich dachte, du hättest heute wieder Unterricht bei den idiotischen Lightwoods?«
»Das stimmt, aber ich brauche mich nicht umzuziehen, da wir heute nur Messerwerfen üben«, erklärte Tessa, leicht überrascht, dass sie nach den Ereignissen der vergangenen Nacht in der Lage war, mit Will ein derart ruhiges und höfliches Gespräch zu führen. Schließlich lag in einer Schublade ihrer Frisierkommode noch immer Cyrils Taschentuch mit Wills Blut darauf ... Und als sie sich wieder an die Wärme seiner Lippen auf ihren Fingern erinnerte, wandte sie rasch den Blick ab.
»Welch glückliche Fügung, dass ich zufälligerweise ein Ass im Messerwurf bin.« Will stand auf und hielt Tessa seinen Arm entgegen. »Komm, ich begleite dich. Es wird Gideon und Gabriel in den Wahnsinn treiben, wenn ich beim Training zuschaue - und ein wenig Wahnsinn kommt mir heute sehr gelegen.«
Will sollte recht behalten: Seine Anwesenheit während des Trainings schien zumindest Gabriel wahnsinnig aufzuregen, wohingegen Gideon das Ganze - wie scheinbar jede Situation - mit stoischer Gelassenheit ertrug. Will hatte sich auf einer der niedrigen Holzbänke niedergelassen, die entlang der Wände standen, und aß genüsslich einen Apfel, die langen Beine weit von sich gestreckt. Gelegentlich gab er kluge Ratschläge von sich, die Gideon ignorierte und die Gabriel wie einen persönlichen Angriff wertete.
» Muss er unbedingt dabei sein?«, knurrte Gabriel, als er zum zweiten Mal fast das Messer fallen ließ, das er Tessa gerade hatte reichen wollen. Wie selbstverständlich legte er ihr eine Hand auf die Schulter und zeigte ihr die Sichtlinie zur Zielscheibe - ein schwarzer, auf die Wand gemalter Kreis. Tessa wusste genau, dass er sich insgeheim wünschte, sie würde statt auf die Wand lieber auf Will zielen. »Können Sie ihm nicht sagen, dass er verschwinden soll?«, fügte Gabriel hinzu.
»Warum sollte ich das tun?«, entgegnete Tessa ruhig. »Will ist mein Freund, dagegen kann ich Sie nicht einmal leiden.« Dann holte sie aus und warf das Messer, das sein Ziel jedoch um mehrere Meter verfehlte und knapp oberhalb des Fußbodens von der Wand abprallte.
»Nein, nein, nein, Sie halten es noch immer zu sehr an der Spitze - und was meinen Sie mit Sie können mich nicht leiden?«, fragte Gabriel in forderndem Ton und mit äußerst überraschter Miene, während er ihr reflexartig ein weiteres Messer reichte.
»Nun ja«, sagte Tessa und visierte die Sichtlinie an, »Sie verhalten sich, als könnten Sie mich nicht leiden. Genau genommen, verhalten Sie sich, als ob Sie uns alle nicht leiden könnten.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Gabriel. »Ich kann nur ihn da nicht leiden.« Er zeigte auf Will.
»Wie entsetzlich!«, spöttelte Will und biss erneut in seinen Apfel. »Liegt es vielleicht daran, dass ich besser aussehe als du?«
»Hört auf - alle beide!«, rief Gideon von der anderen Seite des Fechtsaals. »Wir sollten hier trainieren und uns nicht gegenseitig anfahren wegen irgendwelcher unbedeutender Meinungsverschiedenheiten, die bereits Jahre zurückliegen.«
»Unbedeutend?«, fauchte Gabriel. »Er hat mir den Arm gebrochen.«
Will biss ein weiteres Mal in seinen Apfel. »Ich kann kaum glauben, dass du deswegen noch immer aufgebracht bist.«
Wieder warf Tessa ihr Messer. Dieser Wurf gelang ihr besser: Die Klinge landete im schwarzen Kreis, wenn auch nicht mitten im Zentrum. Gabriel schaute sich nach einem weiteren Messer um und stieß ein verärgertes Schnauben aus, als er keines entdecken konnte. »Wenn wir das Institut führen«, setzte er so laut an, dass Will ihn auf jeden Fall hörte, »dann wird dieser Fechtsaal wesentlich besser geordnet und ausgestattet werden.«
Tessa musterte ihn finster. »Und da wundert es Sie, dass ich Sie nicht leiden kann?«
Gabriels im Grunde ansehnliche Züge verzogen sich zu einer hässlichen, verächtlichen Miene. »Ich wüsste nicht, was das mit Ihnen zu tun hat, kleine Hexe. Dieses Institut ist nicht Ihr Zuhause; Sie gehören nicht hierher. Und glauben Sie mir: Es wäre für Sie von großem Vorteil, wenn meine Familie hier die Leitung hätte - wir könnten eine sinnvolle Verwendung für Ihre ... Ihre Begabung finden. Ihnen eine Anstellung bieten, die Sie reich machen würde. Dann könnten Sie wohnen, wo immer Sie wollen. Und Charlotte könnte das Institut in York leiten, wo sie bedeutend weniger
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