Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
kann er unmöglich glauben.«
»Doch, genau das glaubt er«, erwiderte Tessa. »Er weiß, dass es dich nicht interessiert, was andere von dir halten. Aber meines Erachtens ist er immer davon ausgegangen, dass du dich sehr wohl dafür interessierst, was er denkt. Was er fühlt.«
Will beugte sich vor. Der Feuerschein warf seltsame Muster auf seine Haut und ließ den Bluterguss auf seiner Wange fast schwarz erscheinen. »Ich interessiere mich sehr wohl dafür, was andere Leute denken«, stieß er mit überraschender Heftigkeit aus und starrte in die Flammen. »Das ist das Einzige, woran ich ständig denke: was andere von mir halten, was sie mir gegenüber empfinden und ich ihnen gegenüber. Und das treibt mich noch in den Wahnsinn. Ich wollte dem doch nur einmal für fünf Minuten entkommen ...«
»Das kann nicht dein Ernst sein - Will Herondale kümmert es, was andere von ihm halten?« Tessa versuchte, ihren Worten einen Anflug von Leichtigkeit zu verleihen, doch der Ausdruck in seinen Augen ließ sie stutzen. Sein Gesicht wirkte nicht verschlossen, sondern offen, als hätte er einen Gedanken im Kopf, den er unbedingt mitteilen wollte, es dann aber doch nicht über sich brachte. Dies ist der Junge, der meine vertraulichen Briefe an sich genommen und in seinem Zimmer versteckt hat, überlegte Tessa, brachte aber nicht mehr die Energie auf, sich darüber zu ärgern. Sie hatte angenommen, dass sie bei ihrer nächsten Begegnung schrecklich wütend auf ihn sein würde, aber das war nicht der Fall; sie empfand nur Verwirrung und Verwunderung. Schließlich hatte Will die Briefe an sich genommen, um sie zu lesen - und das zeugte doch von einem Interesse an anderen Menschen, das sehr untypisch für ihn war, oder nicht?
Wills Reaktion auf ihre Bemerkung ließ Tessa vermuten, dass sie ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen hatte. »Tess«, sagte er. »Das ist das Einzige, woran ich denke. Ich kann dich nicht einmal anschauen, ohne gleichzeitig darüber nachzudenken, was du für mich empfindest, und zu befürchten, dass ...« Er verstummte abrupt, als sich die Tür öffnete und Charlotte den Salon betrat. Sie war in Begleitung eines groß gewachsenen Mannes, dessen hellblonde Haare im dämmrigen Licht strahlten wie eine Sonnenblume. Rasch wandte Will sich ab; seine Kiefermuskeln zuckten.
Fragend starrte Tessa ihn an. Was hatte er gerade sagen wollen?
»Oh!« Charlotte war sichtlich überrascht, die beiden zu sehen. »Tessa, Will - ich hatte nicht damit gerechnet, euch hier vorzufinden.«
Wills Hände waren zu Fäusten geballt und sein Gesicht lag im Schatten, aber seine Stimme klang gleichmütig und ruhig, als er erklärte: »Wir haben das Feuer im Kamin gesehen und die Gelegenheit ergriffen, uns zu wärmen. Im Rest des Hauses ist es ja eiskalt.«
Tessa erhob sich aus ihrem Sessel. »Wir sind gerade dabei, uns zurückzuziehen ...«
»Will Herondale, es freut mich, Sie in bester Verfassung zu sehen. Und Tessa Gray!« Der blonde Mann löste sich von Charlottes Seite und marschierte direkt auf Tessa zu, strahlend lächelnd, als würde er sie kennen. »Die Gestaltwandlerin, habe ich recht? Entzückend, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen. Welch ein Kuriosum.«
Charlotte seufzte. »Mr Woolsey Scott, dies ist Miss Tessa Gray. Tessa, dies ist Mr Woolsey Scott, Anführer des Londoner Werwolfrudels und ein alter Freund des Rats.«
»Nun denn«, sagte Gideon, als die Tür hinter Tessa und Will ins Schloss fiel, und drehte sich zu Sophie um, die sich plötzlich in dem riesigen Raum ziemlich klein vorkam. »Wollen wir dann unser Training fortsetzen?« Er hielt ihr ein Messer entgegen, das im schummrigen Licht des Fechtsaals wie ein silberner Zauberstab schimmerte. Seine grünen Augen wirkten ruhig und unerschütterlich, wie eigentlich alles an ihm: sein Blick, seine Stimme, seine gesamte Haltung.
Sophie erinnerte sich an das Gefühl, als diese ruhigen, unerschütterlichen Arme sich beim Training um sie gelegt hatten, und bekam eine Gänsehaut. Sie war zuvor nicht ein einziges Mal mit Gideon allein gewesen und die Vorstellung jagte ihr etwas Angst ein. »Ich glaube nicht, dass ich mit dem Herzen bei der Sache wäre, Mr Lightwood«, gab sie zu bedenken. »Selbstverständlich weiß ich das Angebot sehr zu schätzen, aber ...«
Langsam ließ Gideon den Arm mit dem Messer sinken. »Sie denken also, dass ich Ihr Training nicht ernst nehme?«
»Ich denke, Sie sind sehr großzügig. Aber wir sollten besser den Tatsachen ins Auge
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