Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
hättest darüber nachdenken sollen, welche Wirkung deine Taten auf Jem haben«, warf Tessa leise ein.
Will lehnte den Kopf gegen den ledernen Sesselrücken und musterte Tessa. Er wirkte schläfrig und abgespannt und wunderschön - er hätte mühelos ein präraffaelitischer Apoll sein können. »Wird das nun ein ernsthaftes Gespräch, Tess?«, fragte er. In seiner Stimme schwang noch immer etwas Humor, aber auch eine gewisse Schärfe, wie ein goldenes Schwert mit rasiermesserscharfer Klinge.
Tessa löste sich vom Fenster und setzte sich in den anderen Sessel vor dem Feuer. »Beunruhigt es dich denn nicht, dass er über dich verärgert ist? Wir reden hier von deinem Parabatai. Von Jem ... den sonst nie etwas aus der Ruhe bringt.«
»Vielleicht ist es ja besser so, dass er wütend auf mich ist«, meinte Will. »Eine derart engelsgleiche Geduld kann für niemanden gut sein.«
»Hör auf, ihn zu verspotten«, erwiderte Tessa in scharfem Ton.
»Nichts und niemand ist vor Spott gefeit, Tess.«
»Doch, Jem schon. Er war immer gut zu dir. Er ist die Güte in Person. Und die Tatsache, dass er dich vergangene Nacht geohrfeigt hat, zeigt nur, wie mühelos es dir gelingt, selbst einen Heiligen zur Raserei zu treiben.«
» Jem hat mich geschlagen?« Vorsichtig betastete Will seine Wange und zog eine erstaunte Miene. »Ich muss gestehen, dass ich mir nur sehr wenige Augenblicke der letzten Nacht ins Gedächtnis rufen kann. Ich weiß lediglich, dass ihr beide mich geweckt habt, obwohl ich viel lieber weitergeschlafen hätte. Und ich erinnere mich, dass Jem mich angebrüllt hat und dass du mich festgehalten hast. Ich wusste gleich, dass du es warst: Du duftest immer nach Lavendel.«
Tessa ignorierte diese Bemerkung. »Na jedenfalls hat Jem dich geschlagen und du hattest es dir wahrlich verdient.«
»Du hast ja wirklich einen Ausdruck der Verachtung in den Augen - fast wie Raziel, der auf all den Gemälden den Eindruck erweckt, als hätte er nichts als Verachtung für uns übrig. Also dann erzähl doch mal, mein verächtlicher Engel: Was habe ich denn getan, dass ich es verdiente, von James geohrfeigt zu werden?«
Einen Moment lang suchte Tessa nach den richtigen Worten, doch sie wollten ihr nicht einfallen. Schließlich griff sie auf die Sprache zurück, die Will und sie verband - Dichtung. »Erinnerst du dich, was Donne in einem seiner Essays sagt ...«
»›Lass meine Hände schweifen, dich erkundenden‹?«, zitierte Will und betrachtete Tessa eingehend.
»Ich meinte das Essay, in dem er sagt: ›Niemand ist eine Insel.‹ Alles, was du tust oder lässt, wirkt sich auch auf andere aus. Aber darüber denkst du nie nach. Du verhältst dich, als würdest du auf einer Art ... einer Art ›Will-Insel‹ leben, wo keine deiner Handlungen jemals irgendwelche Konsequenzen hat. Aber das stimmt nicht.«
»Inwiefern wirkt sich mein Besuch in einer Schattendrogenhöhle denn auf Jem aus?«, hakte Will nach. »Sicher, er musste sich auf den Weg machen und mich dort rausholen, aber er hat in der Vergangenheit schon wesentlich gefährlichere Dinge für mich getan. Wir beschützen einander ...«
»Nein, das tust du nicht«, rief Tessa frustriert und aufgebracht. »Glaubst du denn, die Gefahr hätte ihn auch nur eine Sekunde interessiert? Glaubst du das ernsthaft? Dieses Rauschmittel, dieses Yin Fen, hat sein ganzes Leben zerstört und da spazierst du einfach in eine Schattendrogenhöhle und füllst dich bis zur Halskrause mit diesem Zeug ab, als wäre das gar nichts ... als wäre das für dich nur ein Spiel. Jem muss dieses miese Mittel jeden Tag nehmen, um zu überleben, doch gleichzeitig bringt ihn die Substanz langsam, aber sicher um. Er hasst es, davon abhängig zu sein. Er kann sich ja nicht einmal dazu überwinden, es selbst zu kaufen - dafür hat er dich .«
Will setzte zu einem Protest an, doch Tessa hielt eine Hand hoch und brachte ihn zum Schweigen. »Und dann ziehst du los und wirfst dein Geld ausgerechnet den Leuten in den Rachen, die diese Rauschmittel herstellen und andere davon abhängig machen - so als wäre das Ganze für dich nur ein Spaziergang. Was hast du dir nur dabei gedacht?«
»Aber das hatte mit Jem doch überhaupt nichts zu tun ...«
»Du hast dabei nicht an ihn gedacht, aber das hättest du vielleicht einmal tun sollen. Verstehst du denn nicht: Er glaubt, du hättest dich über das, was ihn umbringt, lustig gemacht! Und dabei bist du doch sein Blutsbruder.«
Bei diesen Worten erbleichte Will. »Das
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