Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
sehen, nicht wahr? Bei diesem Unterricht ging es nie um Tessa oder mich, sondern um Ihren Vater und das Institut. Und nun, da ich Ihren Bruder geohrfeigt habe ...« Sophie spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. »Mrs Branwell wäre sehr enttäuscht von mir, wenn sie davon erfahren würde.«
»Unsinn. Gabriel hatte es verdient. Außerdem fällt mir da noch die unbedeutende Kleinigkeit der Blutrache zwischen unseren Familien ein.« Achtlos wirbelte Gideon das silberne Messer zwischen seinen Fingern herum und schob es dann in seinen Gürtel zurück. »Charlotte würde Ihnen wahrscheinlich den Lohn erhöhen, wenn sie davon wüsste.«
Doch Sophie schüttelte den Kopf. Sie stand nur wenige Schritte von einer Bank entfernt, auf die sie sich nun erschöpft niederließ. »Da kennen Sie Charlotte schlecht. Sie würde sich moralisch verpflichtet fühlen, mich zu maßregeln.«
Auch Gideon setzte sich auf die Bank - allerdings nicht direkt neben Sophie, sondern ans andere Ende, so weit entfernt von ihr wie nur möglich. Sophie schwankte, ob sie darüber erfreut sein sollte oder nicht. »Miss Collins«, setzte er an. »Es gibt da etwas, das Sie wissen sollten.«
Sophie verschränkte die Hände im Schoß. »Und das wäre?«
Gideon beugte sich ein wenig vor, die breiten Schultern leicht gekrümmt. Sophie konnte die grauen Sprenkel in seinen Augen erkennen. »Als mein Vater mich aus Madrid abberufen hat, wollte ich eigentlich nicht nach Hause zurückkehren«, erklärte er. »In London war ich nie wirklich glücklich. Nach dem Tod meiner Mutter war mein Elternhaus ein sehr trübsinniger Ort.«
Schweigend schaute Sophie ihn mit großen Augen an. Ihr fiel nichts ein, was sie darauf hätte antworten können. Gideon war ein Schattenjäger und dazu ein Mann von Stand, aber dennoch schien er ihr sein Herz auszuschütten. Nicht einmal Jem mit seiner grundfreundlichen Wesensart hatte jemals etwas Derartiges getan.
»Als ich das erste Mal von diesen Trainingsstunden erfuhr, hielt ich das Ganze für eine furchtbare Zeitverschwendung. Im Geiste sah ich mich schon zwei sehr albernen Mädchen gegenüber, die sich nicht im Geringsten für Unterricht welcher Art auch immer interessierten. Aber diese Beschreibung trifft weder auf Miss Gray noch auf Sie zu. Sie müssen wissen, dass ich in Madrid regelmäßig junge Schattenjäger trainiert habe. Und darunter befanden sich auch einige, die nicht annähernd die natürliche Begabung besaßen, welche Sie auszeichnet. Sie sind eine sehr talentierte Schülerin und es ist mir ein Vergnügen, Sie zu unterrichten.«
Sophie spürte, wie ihre Wangen hochrot anliefen. »Das können Sie doch nicht ernst meinen.«
»Doch, doch. Als ich das erste Mal hierher kam, war ich angenehm überrascht. Und genauso erging es mir auch beim zweiten Treffen und beim Mal danach. Ich stellte fest, dass ich mich auf das Training freute. Ehrlich gesagt, muss ich gestehen, dass ich seit meiner Rückkehr alles an London gehasst habe - mit Ausnahme der Stunden im Institut, hier mit Ihnen.«
»Aber Sie haben doch jedes Mal, wenn ich meinen Dolch fallen ließ, ›ay Dios mio‹ gemurmelt ...«
Gideon begann zu lächeln und dieses Lächeln ließ sein Gesicht aufleuchten und veränderte es.
Sophie schaute ihn mit großen Augen an. Er war zwar nicht so wunderschön wie Jem, aber dennoch sehr attraktiv, vor allem wenn er lächelte. Das Lächeln schien sich auf sie zu übertragen und ihr Herz zu berühren und seinen Schlag zu beschleunigen. Er ist ein Schattenjäger. Und ein Gentleman, ermahnte sie sich. Solche Gedanken ihm gegenüber schicken sich nicht. Also hör sofort damit auf Doch sie konnte nicht einfach damit aufhören - genauso wenig wie sie Jem aus ihren Gedanken hatte verbannen können. Aber während sie sich in Jems Gegenwart einfach nur sicher fühlte, verspürte sie bei Gideon ein aufgeregtes Kribbeln, das wie ein Blitz durch ihre Adern zuckte und sie gleichzeitig bestürzte. Und dennoch wollte sie nicht darauf verzichten.
»Ich spreche Spanisch, wenn ich gut gelaunt bin«, erklärte Gideon. »Das sollten Sie über mich wissen.«
»Das bedeutet also, Sie waren meiner Ungeschicklichkeit gar nicht derartig überdrüssig, dass Sie sich am liebsten vom Dach gestürzt hätten?«
»Ganz im Gegenteil.« Gideon beugte sich noch weiter zu Sophie vor. Seine graugrünen Augen schimmerten im Farbton einer rauen, stürmischen See. »Sophie, darf ich Sie etwas fragen?«
Sophie wusste, dass sie ihn eigentlich ermahnen und
Weitere Kostenlose Bücher