Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
darauf bestehen sollte, sie weiterhin mit »Miss Collins« anzusprechen, doch sie schwieg dazu. »Äh ... ja?«
»Ganz gleich ob dieser Unterricht fortgeführt wird oder nicht - darf ich Sie trotzdem Wiedersehen?«
Will hatte sich aus seinem Sessel erhoben, doch Woolsey Scott betrachtete noch immer Tessa: Eine Hand unter das Kinn gestützt, studierte er sie, als wäre sie ein Ausstellungsobjekt in der Vitrine eines naturkundlichen Museums.
Scott entsprach keineswegs dem Bild, das Tessa sich vom Anführer eines Werwolfrudels gemacht hatte. Sie schätzte sein Alter auf Anfang zwanzig. Er war groß und so schlank, dass es beinahe schon an Hagerkeit grenzte, und seine blonden Haare fielen ihm bis fast auf die Schultern. Mit seinem samtenen Gehrock, den Kniebundhosen, dem nachlässig gebundenen Paisley-Schal und dem getönten Monokel vor seinem hellgrünen Auge wirkte er wie eine der Zeichnungen, die Tessa in der satirischen Zeitschrift Punch gesehen hatte - Illustrationen von Leuten, die sich selbst als »Ästheten« bezeichneten.
»Zauberhaft«, verkündete er abschließend. »Charlotte, ich bestehe darauf, dass die beiden hierbleiben, während wir uns unterhalten. Welch ein entzückendes Pärchen! Sehen Sie doch nur, wie seine dunklen Haare ihre helle Haut vorteilhaft zur Geltung bringen ...«
»Vielen Dank, Mr Scott«, stieß Tessa hervor, deren Stimme plötzlich drei Oktaven höher klang, »das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, aber ich kann Ihnen versichern, zwischen Will und mir gibt es keine romantische Verbindung. Ich weiß ja nicht, was Sie gehört haben ...«
»Nichts!«, beteuerte Scott, warf sich in einen der Sessel am Kamin und drapierte sich den Schal um Hals und Schultern. »Nicht das Geringste, meine Liebe. Obwohl ich ja sagen muss, dass Ihr Erröten Sie der Unwahrheit überführt. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, Sie alle. Lassen Sie sich nicht von mir einschüchtern. Charlotte, bitte seien Sie so gut und lassen Sie eine Kanne Tee bringen. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet.«
Tessa warf Charlotte einen Blick zu, die jedoch nur die Achseln zuckte, als wollte sie sagen, man könne ja doch nichts dagegen machen. Langsam ließ Tessa sich in einen Sessel sinken, neben Will, der ebenfalls wieder Platz genommen hatte. Aber sie vermied jeden Blickkontakt; sie konnte ihn einfach nicht ansehen, während Woolsey Scott dasaß und sie beide angrinste, als wäre ihm etwas bekannt, das sie nicht wusste.
»Und wo ist denn der junge Mr Carstairs?«, erkundigte er sich nun. »Dieser entzückende Junge. Welch eine interessante Tönung der Augen und Haare. Und so talentiert im Umgang mit der Geige. Natürlich muss ich gestehen, nachdem ich Jules Garcin persönlich an der Pariser Oper habe spielen hören, klingt alles andere danach nur noch wie, nun ja, wie kratziger Kohlenstaub, der das Trommelfell reizt. Ein Jammer, dass der Junge so krank ist.«
Charlotte, die inzwischen nach Bridget geläutet hatte, kehrte von der Tür zurück, ließ sich in einem der Sessel nieder und strich ihren Rock glatt. »In gewisser Hinsicht betrifft dies ein Thema, worüber ich gerade mit Ihnen sprechen wollte ...«
»Oh, nein, nein, nein.« Scott zauberte wie aus dem Nichts ein Majolika-Kästchen hervor, eine farbig bemalte zinnglasierte Keramik, und wedelte damit in Charlottes Richtung. »Bitte keine ernsthaften Diskussionen, bis ich etwas Tee und Tabak genossen habe. Zigarre gefällig?« Er hielt Charlotte das Kästchen entgegen. »Ägyptische - die besten weit und breit.«
»Nein, danke.« Charlotte wirkte leicht entsetzt bei dem Gedanken, eine Zigarre zu rauchen. Auch Tessa musste sich eingestehen, dass sie sich die junge Institutsleiterin tatsächlich nicht mit einer Zigarre vorstellen konnte, und sie bemerkte, wie Will ebenfalls leise in sich hineinlachte.
Dagegen zuckte Scott nur die Achseln und widmete sich wieder seinen Vorbereitungen.
Bei dem Majolika-Kästchen handelte es sich um ein raffiniertes kleines Utensil, mit Fächern für die von einem Seidenband zusammengehaltenen Zigarren, für neue und abgebrannte Streichhölzer und mit einem Bereich zum Abklopfen der Asche. Schweigend sahen die anderen zu, wie der Werwolf seine Zigarre mit sichtlichem Genuss anzündete und sich der Raum mit süßlichem Tabakduft füllte.
»Also«, sagte er, nachdem er den Rauch in die Luft geblasen hatte, »erzählen Sie mal, liebe Charlotte: Wie geht es Ihnen? Ihnen und Ihrem zerstreuten Gatten. Geistert er noch immer durch die
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