Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
scheint mir sehr lebendig.«
»Jem lebt nur noch, weil er ein Schattenjäger ist und weil er so wenig wie nötig und so selten wie möglich davon einnimmt. Und selbst dann wird ihn die Substanz letztendlich das Leben kosten.« Wills Stimme klang vollkommen ausdruckslos. »Ihr Entzug würde dasselbe bedeuten.«
»So, so«, sagte Woolsey leichthin. »Na, dann kann ich nur hoffen, dass der massive Erwerb des Mittels vonseiten des Magisters nicht zu einer rapiden Verknappung führt.«
Bei diesen Worten wurde Will kreidebleich - ganz offensichtlich war ihm dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. Tessa wandte sich ihm zu, doch er war bereits aufgesprungen und stürmte zur Tür, die eine Sekunde später mit einem Knall hinter ihm ins Schloss fiel.
Stirnrunzelnd schaute Charlotte ihm nach. »Gütiger Himmel, er ist bestimmt wieder auf dem Weg nach Whitechapel«, stöhnte sie und wandte sich dann an den Werwolf: »War das wirklich nötig, Woolsey? Ich denke, Sie haben dem armen Jungen gerade einen riesigen Schrecken eingejagt ... und wahrscheinlich vollkommen ungerechtfertigt.«
»Ein wenig Voraussicht kann nicht schaden«, erwiderte Scott. »Ich habe meinen eigenen Bruder immer für selbstverständlich gehalten - bis de Quincey ihn umgebracht hat.«
»De Quincey und der Magister sind vom selben Schlag: skrupellos«, sagte Charlotte. »Wenn Sie uns helfen könnten ...«
»Gewiss, das Ganze ist eine üble Angelegenheit«, bemerkte Scott. »Aber bedauerlicherweise fallen Lykanthropen außerhalb meines Rudels nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.«
»Aber vielleicht könnten Sie ja einmal Ihre Fühler ausstrecken, Mr Scott. Jede noch so kleine Information darüber, wo diese Werwölfe arbeiten oder womit sie sich beschäftigen, könnte von unschätzbarem Wert sein. Der Rat wäre Ihnen dafür sehr dankbar.«
»Ach, der Rat «, winkte Scott tödlich gelangweilt ab. »Na schön. Doch nun zu uns, liebe Charlotte ... Reden wir doch lieber über Sie.«
»Über mich? Ach, aber ich bin furchtbar langweilig«, erwiderte Charlotte und stieß - mit Absicht, da war Tessa sich ziemlich sicher - gegen die Teekanne, die daraufhin mit einem lauten Klirren umkippte und heißen Tee über den Tisch schwappte.
Mit einem Aufschrei sprang Scott auf und riss seinen Schal aus der Gefahrenzone.
Auch Charlotte erhob sich rasch, wobei sie ob ihrer Ungeschicklichkeit tadelnd mit der Zunge schnalzte. »Woolsey, mein Verehrtester«, säuselte sie und legte ihm ihre Hand auf den Arm, »Sie waren mir ja solch eine Hilfe. Kommen Sie, ich werde Sie zur Tür begleiten. Das Institut in Bombay hat uns vor ein paar Tagen einen antiken Dolch - einen Keris - zukommen lassen, den ich Ihnen unbedingt noch zeigen muss ...«
11
VOLL WILDER HOFFNUNG
Und euer Scheitern, nicht dass ich’s verhehle,
Reißt mich mitleidig in den Untergang.
Also durchforschte ich die Welt in allen Teilen
Voll wilder Hoffnung, euch zwar nicht zu heilen,
Doch Trost zu finden oder einen Linderungstrank.
James Thomson,
»Nachtstadt«
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Meine liebe Mrs Branwell,
Sie werden vielleicht überrascht sein, schon so bald nach meiner Abreise aus London einen Brief von mir zu erhalten, aber obwohl diese ländliche Region im Grunde recht verschlafen ist, scheinen sich die Ereignisse hier zu überschlagen und ich hielt es für das Beste, Sie umgehend zu unterrichten.
Da sich das hiesige Wetter weiterhin von seiner besten Seite zeigt, bin ich in der Lage, ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen, vor allem in der Gegend von Ravenscar Manor, bei dem es sich wirklich um ein sehr schönes altes Anwesen handelt. Allem Anschein nach bewohnt die Familie Herondale das Gebäude allein: nur der Vater, Edmund, die Mutter sowie die jüngste Tochter, Cecily, die fast fünfzehn Jahre alt ist und ihrem Bruder sehr ähnelt - im Hinblick auf ihre Rastlosigkeit, ihr Verhalten und ihr Erscheinungsbild. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen, woher ich dies alles weiß, doch lassen Sie mich Ihnen zuerst noch ein paar andere Dinge berichten:
Ravenscar Manor liegt in der Nähe eines kleinen Dorfes, wo ich im örtlichen Gasthof, dem Black Swan, Quartier bezogen habe. Ich gebe mich hier als ein Gentleman aus, der am Erwerb von Land und Immobilien in der umliegenden Region interessiert ist. Die hiesige Bevölkerung hat sich als sehr entgegenkommend erwiesen, was Informationen anbelangt - und im Falle derjenigen, die nicht sofort mit der Sprache herausrücken wollten, hat der eine oder andere
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