Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
halten und stützte sich an der Kutschtür ab, eine Hand an der geröteten Wange. Seine Lippen bluteten. Vollkommen verwirrt starrte er Jem an.
»Schaff ihn in die Kutsche«, befahl Jem Cyril, machte dann auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück durch die rote Tür. Vermutlich um das zu bezahlen, was Will konsumiert hatte, dachte Tessa.
Will schaute ihm noch immer hinterher; das Blut färbte seinen Mund rot. »James?«, fragte er.
»Na, dann wollen wir mal«, sagte Cyril, keineswegs unfreundlich. Er besaß wirklich eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Thomas, überlegte Tessa, als er den Kutschschlag öffnete, Will hineinbugsierte und Tessa beim Einsteigen half. Dann zog er wortlos ein Taschentuch aus seiner Hosentasche; es fühlte sich warm an und roch nach billigem Rasierwasser.
Tessa lächelte und dankte ihm, während er die Kutschtür schloss.
Will saß zusammengesackt in einer Ecke, die Arme verschränkt, die Augen nur halb geöffnet. Das Blut war ihm inzwischen am Kinn herabgelaufen. Als Tessa sich vorbeugte und ihm das Taschentuch auf die Lippe drückte, schnellte seine Hand hoch, legte sich über ihre und hielt sie dort fest. »Da hab ich ja was Schönes angerichtet, nicht wahr?«, bemerkte er.
»Ich fürchte, das stimmt«, bestätigte Tessa und versuchte gleichzeitig, die Wärme seiner Hand auf ihren Fingern zu ignorieren. Selbst im schummrigen Licht der Kutsche schienen seine Augen noch immer blau zu leuchten. Was hatte Jem noch einmal gesagt? Schönheit ist hart. Würde man Will die Dinge, die er tat, auch dann vergeben, wenn er unansehnlich wäre? Und half es ihm letztendlich, dass man ihm vergab? Allerdings wurde Tessa das Gefühl nicht los, dass er all dies nicht tat, weil er sich selbst zu sehr liebte, sondern weil er sich hasste. Und sie wusste einfach nicht, warum.
Erschöpft schloss Will die Augen. »Ich bin so furchtbar müde, Tess«, murmelte er. »Und ich wollte doch nur ein einziges Mal einen schönen Traum haben.«
»Aber auf diese Weise erreicht man das nicht, Will«, sagte sie leise. »Geld, Drogen oder Träume werden dir deinen Schmerz niemals völlig nehmen können.«
Betroffen verspannte sich Wills Hand über Tessas. Doch im nächsten Moment wurde die Kutschtür aufgerissen und Tessa rückte hastig von Will ab.
Jem platzte mit zornrotem Gesicht ins Kutscheninnere. Er warf Will einen kurzen Blick zu, ließ sich dann auf die Sitzbank fallen und klopfte mit seinem Spazierstock an den Kutschhimmel. »Cyril, nach Hause!«, rief er nach vorn. Einen Moment später setzten sie sich in Bewegung und ratterten in die Nacht, während Jem den Arm ausstreckte und die Vorhänge vor die Fenster zog. Tessa nutzte die Dunkelheit, um das Taschentuch unbemerkt in ihren Ärmel zu stecken - es war noch feucht von Wills Blut.
Auf dem gesamten Heimweg sagte Jem kein einziges Wort; stattdessen starrte er mit steinerner Miene und verschränkten Armen vor sich hin, während Will in seiner Ecke der Kutsche schlief, den Hauch eines Lächelns um die Lippen. Tessa, die den beiden gegenübersaß, wollte einfach nichts einfallen, wie sie Jems brütendes Schweigen brechen konnte. Dieses Verhalten war vollkommen untypisch für ihn - Jem, der sonst immer liebenswert, immer freundlich, immer optimistisch schien. Der leere Ausdruck auf seinem Gesicht erschreckte Tessa und sie beobachtete mit Bestürzung, wie sich seine Nägel in den Stoff seiner Schattenjägermontur gruben und seine Schultern vor unterdrücktem Zorn ganz steif und kantig wurden.
In dem Moment, in dem die Kutsche vor dem Institut vorfuhr, warf er den Schlag auf und sprang hinaus. Tessa hörte, wie er Cyril zurief, er solle Will auf sein Zimmer helfen. Dann stakste er davon, die Stufen hinauf - ohne Tessa noch eines Wortes zu würdigen.
Tessa war derartig geschockt, dass sie ihm nur stumm hinterherschauen konnte. Nach einem kurzen Augenblick rutschte sie zur Kutschtür, wo Cyril bereits stand, eine Hand ausgestreckt, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Tessa hatte kaum einen Fuß auf das Pflaster gesetzt, als sie Jem auch schon nacheilte und seinen Namen rief, doch er war bereits im Institutsgebäude verschwunden. Er hatte die Tür sperrangelweit offen gelassen und Tessa stürmte ihm nach, wobei sie nur einen kurzen Blick über die Schulter warf, um sich zu vergewissern, dass Cyril Will aus der Kutsche half. Sie hastete die Treppe hinauf, rief erneut nach Jem und senkte dann die Stimme, als ihr bewusst wurde, dass die anderen Bewohner des
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