Chroniken der Schattenkrieger (German Edition)
schien der Vater zu sein, der zwar einen durchaus sympathischen Eindruck machte, aber dennoch eine gewisse Strenge ausstrahlte. Bei der Anzahl und dem Alter seiner Söhne war dies jedoch nichts Ungewöhnliches. Um sich bei solch einer Gruppe Jugendlicher durchzusetzen, musste man aus echtem Holz geschnitzt sein.
Das neue Haus der Familie hatte einen weit ausgebauten Garten mit einer weißen Schaukel und einem Springbrunnen in der Mitte. Alles zeugte von außen von Harmonie und Geborgenheit. Doch der friedliche Schein, den die Anlage vermittelte, spiegelte nicht die wahre Natur des sechsköpfigen Haushaltes wider.
„Die beiden bewachen sie wie Wachhunde, aber sie haben uns unterschätzt.“ Der Boss stand mit rot glühendem Gesicht an der verglasten Tür, die zum Garten führte, und schrie seine Wut lauthals heraus. „Wir werden sie zerquetschen wie dreckige Kakerlaken.“ Der schwarze Kater hatte gemütlich auf dem Fenstersims gelegen und sich die Pfoten geleckt. Als er die Rede seines Gebieters hörte, richtete er den Kopf auf und fauchte laut. Die grünen Augen leuchteten wie zwei Diamanten. Aiden stand stramm neben seinem Vorgesetzten und lauschte seinen Worten. Er war die Loyalität in Person.
Anthony dagegen konnte, wie so oft, das Geschrei des Mannes, den er über alles hasste, nicht mehr hören. Seinen angewiderten Gesichtsausdruck konnte er nicht verbergen, und so war er der Erste, der als Blitzableiter für die angestaute Wut des Bosses herhalten musste. Dessen Handrücken schlug mit enormer Wucht gegen die Wange des jungen Mannes und hinterließ einen glühenden Abdruck. Verständnislos schaute Anthony sein Gegenüber an.
„Wofür war das?“, fragte er vorsichtig und rechnete bereits insgeheim mit einem weiteren Schlag für seine freche Frage.
„Damit du ja nicht vergisst, wer hier das Sagen hat. Verstanden?“, kam die gehässige Antwort seines Gegenübers, der jedoch keine weitere Ohrfeige folgte. „Doch loben muss ich dich schon. Du hattest genug Grips im Kopf, um dich in ihren Langweiler-Kurs einzuschreiben. Brav.“ Logan Grace machte wieder einige kleine Schritte quer durch das Zimmer und lachte beiläufig. Seine laute Stimme hallte an den Wänden wider und verursachte ein angsteinflößendes Echo. „Einen offenen Kampf fürchte ich nicht. Wenn es darauf ankommt, werden wir sie im Nu zermalmen. Vielmehr will ich sie leiden sehen. Ich will ihnen vor Augen führen, was für Versager sie sind. Ich will sie ihnen vor der Nase wegschnappen und sie verschleppen – dorthin, wo auf sie das Urteil wartet, das sie verdient hat.“ Logan Grace redete sich in Rage, und auch seiner rechten Hand, Aiden, gefielen die hasserfüllten Worte.
„Jaa …“, zischte Aiden leise heraus. Die Vorstellung, seine Feinde leiden zu sehen, versetzte ihn in einen Zustand des angenehmen Vergnügens. „Sag uns, Boss: Wie stellst du dir das vor? Wie sieht dein Plan aus?“
„Wir werden sie ausspähen, sie nie aus den Augen lassen, und wenn der richtige Augenblick gekommen ist, werden wir sie verschleppen.“
„Und die Lichter?“, fragte Aiden weiter.
„Wenn sie merken, was geschehen ist, werden sie uns folgen. Um die werden wir uns später kümmern. Sie werden ins offene Messer hineinlaufen.“
Die Hinterlist des Bosses hatte Anthony schon immer Angst gemacht, doch wie so oft bewunderte und hasste er auch in diesem Augenblick die tief greifende Schwärze seiner Seele. In ihm war nichts Gutes, nichts Rechtschaffenes. Er war ein Soldat, ein Killer, der keine Gnade oder Reue empfand. Nicht bei den Angehörigen seines Volkes, und schon gar nicht bei seinen Feinden. Er war ein Vorbild für alle Schattenkrieger.
„Boten!“, wandte sich der Boss an die beiden an der Wand stehenden Schattenkrieger, die sich immer im Hintergrund aufhielten und fast niemals ein Wort sprachen. Sie gehörten der niedrigsten Schicht ihrer Rasse an und wurden nicht als wahre Krieger betrachtet. Ihre Aufgabe war einfach, sich schnell von einem Ort zum anderen zu bewegen und Botschaften ihrer Vorgesetzten weiterzureichen. Die beiden Gestalten blickten gleichzeitig auf, teils erschrocken und teils aufgeregt, hatten sie doch schon seit Jahren keinen Auftrag mehr erhalten. „Ihr werdet nach Hause fliegen und die frohe Botschaft verkünden. Man soll sich auf unsere Rückkehr einstellen und alle hierfür notwendigen Vorkehrungen treffen“, beendete der Boss seine kurze Ansprache und entließ die Boten mit einem hastigen Wink.
Nacheinander
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